Karlheinz Böhm, der Gründer der Hilfsorganisation "Menschen für Menschen", mit einem Kind in einem äthiopischen Dorf.

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Wetten, dass nicht einmal jeder dritte Zuschauer eine D-Mark für notleidende Menschen in der Sahelzone spenden wird?" Diese Wette hat das Leben von Karlheinz Böhm 1981 verändert. Aus dem Filmschauspieler und gefeierten Darsteller des jungen Franz Josef wurde der jetzt verehrte Entwicklungshelfer. "Vom Kaiser zum Edelmann", lautete eine Schlagzeile.

Ein sinnvolles Leben

"Vater Karl", wie er in Äthiopien genannt wird, schuf die Hilfsorganisation "Menschen für Menschen", die jährlich mit einigen Millionen Euro Spendengeldern Hilfsprojekte im Gesundheitswesen und im Bildungsbereich finanziert - danke, Karlheinz. Du hast in deinem erfüllten Leben viel Sinnvolles geschaffen. Vielen Äthiopiern hast du geholfen, Kranke wurden geheilt, Kinder wurden ausgebildet, vielen Menschen steht jetzt eine ganz andere Welt offen. Doch diese Art von Entwicklungshilfe ist an ihrem Endpunkt angelangt! Auch wenn sich Hilfsempfänger und Helfer noch wehren.

Die Welt hat sich grundlegend verändert. In den 1980er-Jahren des Karlheinz Böhm war Äthiopien von einer Hungersnot heimgesucht. Nach einer Dürreperiode starben über 500.000 Menschen. Derartiges gibt es heute in Äthiopien nicht mehr: Äthiopien ist, wie die meisten afrikanischen Länder, Teil der globalen Wissens- und Kommunikationsgesellschaft geworden. Globale Wertschöpfungsketten binden die Länder Afrikas in die Weltwirtschaft ein. Durch zunehmenden Handel, Arbeitsteilung und Vernetzung gibt es im Afrika des 21. Jahrhunderts keine Hungersnöte mehr - außer durch Polit- oder Kriegswirren geschaffene.

Eine gebildete und in einer globalisierten Welt aufgewachsene Generation hat die Führungspositionen in Staat und Wirtschaft übernommen. In den Städten ist der Alltag längst von einer Mittelschicht geprägt, deren Erwerbsleben, Konsum- und Kommunikationsverhalten wie bei uns einem globalen Standard entsprechen. Das gilt für Addis Abeba wie für Nairobi, Daressalam, Maputo oder Accra.

Zur Lösung der nach wie vor großen sozialen Probleme taugt Entwicklungshilfe aus Europa nicht mehr. Erstens, weil einseitige Hilfsleistungen auf Dauer nicht nachhaltig sein können. Sie zementieren die Abhängigkeit der Hilfsempfänger von der Hilfe. Und das "Fund-Raising" in Europa zementiert bei uns das Bild von Afrika als dem "Katastrophenkontinent", denn es benötigt genau ein solches Afrika für den wirksamen Spendenaufruf. Beides aber verstärkt die wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede, anstatt sie zu vermindern.

Zweitens, China, aber auch Indien, Brasilien, Indonesien, Malaysia, Thailand, die arabische Welt oder die Türkei haben uns gezeigt, dass es auch ohne Hilfsdenken geht. Mit ihren Investitionen haben diese Länder einen Grundstein für den heute spürbaren wirtschaftlichen Boom Afrikas gelegt. Sie verknüpfen ihre eigenen Interessen offen mit den Interessen der einzelnen armen Länder und leisten auf diesem Weg einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung.

Drittens wollen immer mehr Menschen nicht mehr als Hilfsempfänger auf dem Katastrophenkontinent gesehen werden. Wie wir sind sie Weltbürger in unserem Global Village. Hilfsdenken ist ein hierarchisches Denken und lässt uns das nicht erkennen: Zu oft nehmen wir den Hilfsempfängern damit ihre Würde.

Es ist inzwischen auch spürbar, dass Europa auf dem Gebiet der Ideen in den Ländern Afrikas keine Rolle mehr spielt. Bei der Suche nach neuen Modellen für die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Strukturen dienen immer mehr die autoritären staatskapitalistischen Praktiken Asiens als Vorbild - und nicht die humanistisch und demokratisch geprägten europäischen.

Es gibt die Katastrophenhilfe mit dem Zweck, Menschen, die von Kriegen oder Naturkatastrophen betroffen sind, schnell und wirksam zu helfen. Und es gibt die Entwicklungshilfe, die auf die längerfristige Entwicklung von Regionen oder Staaten abzielt. Die Katastrophenhilfe steht außer Streit. Österreich soll seine dafür veranschlagten Mittel, wie versprochen, aufstocken und einen wirksamen Beitrag im internationalen Konzert der Helfer leisten.

Helfer-Paradoxon

Die Entwicklungshilfe aber müssen wir überwinden. Wir müssen das dem Helfen ganz allgemein innewohnende Paradoxon anerkennen: Gelingt das Herstellen der Selbstständigkeit und der Autonomie der Hilfsempfänger, entzieht dies den Helfern die Daseinsberechtigung. Dies bedeutet nicht den Abzug der Europäer aus Afrika. Im Gegenteil. In einer zunehmend globalisierten und interdependenten Welt wäre das auch vollkommen verkehrt. Es verlagert lediglich unsere Beziehungen zu den afrikanischen Staaten auf eine andere Ebene. Der wirtschaftliche, kulturelle und soziale Austausch wird ohne Hilfsdenken ganz automatisch zunehmen. Und endlich können wir mit Afrika auf Augenhöhe kommunizieren. Genau das müssen wir Europäer aber erst lernen. (Hans Stoisser, DER STANDARD, 5.6.2014)