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Neuer Stoff gegen Gedächtnisverlust in den Startlöchern.

Foto: APA/dpa-Zentralbild/Jens Kalaene

Die Geschäftsführer des Wiener Biotechunternehmen Affiris waren bei der Pressekonferenz am Mittwoch von ihrer Entdeckung selbst noch ganz aufgeregt. Im Rahmen ihrer Studien zur Alzheimer-Impfung ist den Forschern etwas sehr Eigenartiges passiert. Wie in der Pharmabranche üblich, hat Affiris seinen Wirkstoff AD02 in unterschiedlichen Settings gegen Placebos antreten lassen. Insgesamt waren 332 Alzheimer-Patienten in verschiedene Studienarme eingeteilt worden.

Kriterium "nicht trüb"

Es sollte eine verblindete placebokontrollierte Studie sein. "Normalerweise wird Kochsalzlösung als Placebo gegeben, für unsere Studie war das aber nicht möglich", berichtet Walter Schmidt, Mitbegründer und Geschäftsführer von Affiris. Denn die Wirkstofflösung sei trüb, Kochsalzlösung hingegen klar. Ärzte hätten diesen Unterschied beim Spritzen gemerkt, deshalb habe man sich entschieden, die Impflösung einfach ohne Wirkstoff zu verabreichen.

Ziel der Studien war es festzustellen, ob der Wirkstoff AD02 den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen kann, also eine sogenannte Disease Modification erzielt.

Gedächtnisverlust stoppen

Bei Alzheimer versteht man darunter erstens: eine Stabilisierung der Gedächtnisleistung, die durch neuropsychologische Tests festgestellt wird.  Zweitens: Eine Stabilisierung des Hippocampus - letzterer schrumpft bei Alzheimer-Patienten und das lässt sich durch Biomarker feststellen.

Die große Überraschung für die Forscher war, dass nach Auswertung der Ergebnisse eine der beiden Placebo-Gruppen ganz besonders gut abschnitt. Bei 47 Prozent der Placebo-Behandelten konnte der negative Krankheitsverlauf über 18 Monate lang gestoppt werden.

Totale Zufallsentdeckung

Diese Wirkung war dosisabhängig und besonders ausgeprägt bei Patienten mit der Erkrankung im Frühstadium. Darüber hinaus korreliert der Biomarker-Effekt, gemessen als Stabilisierung des Hippocampus-Volumens, statistisch signifikant mit dem positiven Effekt im klinischen Verlauf.

"Wir haben eine Zeitlang gerätselt, uns aber dann entschieden, dass es sich bei dem Placebo um eine neue Substanz handelt, und sie AD04 genannt", berichtet Schmidt. Die alles entscheidende Frage, was in diesem Placebo enthalten war, etwa nur ein in vielen Impfungen enthaltenes Adjuvans, also eine Art Wirkstoffverstärker, beantwortete er nicht.

"Wir haben vor zwei Wochen die Patente eingereicht, ich kann dazu keine Auskunft geben", wiederholte er mehrere Male bei der Pressekonferenz. Der in AD02 enthaltene Peptid-Impfstoff sei jedenfalls den Patienten in der Placebogruppe nicht gespritzt worden. Schmidt konnte sich durchringen, von AD04 als einem Stoff zu sprechen, der in die Immunabwehr wirke, AD04 sei also ein Immunmodulator.

Zurück zur Systematik

Mit diesen neuen Erkenntnissen geht die Arbeit für Affiris, die für sämtliche neue Studien finanzkräftige Partner sucht, erst richtig los. Die in einer klinischen Phase-2-Studie gewonnenen Erkenntnisse müssen jetzt noch einmal wiederholt werden.

Konkret heißt das: Nun muss das neue AD04 gegen Placebo antreten, auch die Dosisfindung muss noch einmal in einer Phase-2-Studie getestet werden.

Bis zur klinischen Phase-3-Studie, bei das Medikament mit einer großen Anzahl von Patienten auf seine Wirksamkeit überprüft wird, dauert es noch. Erst, wenn es sich dann bewährt, wird es als Medikament für den Einsatz an allen Patienten zugelassen.

Das große Wort "Durchbruch", das Affiris für seine Entdeckung bei der Pressekonferenz benutzte, ist also vorerst auf Forschungsebene gerechtfertigt, die Patienten werden darauf aber noch einige Jahre warten müssen. (Karin Pollack, derStandard.at, 4.7.2014)