Michael Bakunin

Foto: Félix Nadar

Vor 200 Jahren wurde Michail Bakunin geboren, der alte Anarchist. Ich habe mich mit ihm im Rahmen meiner Diss über die Erste Internationale ziemlich ausgiebig beschäftigt und ihn dabei fast lieb gewonnen. Bakunins Leben hat der Anarchismus-Historiker Max Nettlau in akribischer Weise nachvollzogen, allerdings ist seine Bakunin-Biografie, soweit ich weiß, immer noch nicht gedruckt. Ich habe sie damals in der französischen Nationalbibliothek gelesen, auf einer per Matrize angefertigten Kopie des handschriftlichen Manuskriptes. Wenn ich mich richtig erinnere, hat Nettlau selbst insgesamt fünfzig solcher Kopien angefertigt und ausgewählten Bibliotheken geschenkt.

Okay, ich gebe zu, ich bin von Nettlau mehr beeindruckt als von Bakunin. Aber auch dessen Texte sind nach wie vor lesenswert, zumal wir alle ohnehin mehr anarchistische Theorie lesen sollten. Auch sein Leben ist atemberaubend (zum Beispiel: Wie flieht man von Sibiren über Japan in die USA?), wobei ich mich allerdings nur mit der Zeit ab ungefähr 1860 wirklich gut auskenne.

Kleiner Exkurs

Das hat mich in meiner mündlichen Prüfung in Politikwissenschaft (zum Thema Geschichte des Anarchismus) ins Schwitzen gebracht, weil ich nämlich die Frage nicht beantworten konnte, mit wem Bakunin 1848 zusammen auf den Barrikaden von Dresden gekämpft hat.

Falls Ihr nicht die Möglichkeit habt, eins der Nettlau-Manuskripte zu lesen, ist ein guter Einstieg in Bakunins Leben die Biografie von Riccarda Huch, die es inzwischen auch billig über Second Hand gibt.

Überhaupt ist aufschlussreich, wie viele Frauen sich für Bakunin interessiert haben. Das ist inhaltlich durchaus berechtigt, denn anders als viele Zeitgenossen vertrat Bakunin einen egalitären Feminismus – zum Beispiel im direkten Gegensatz zu Proudhon. Andererseits lag ihm das Thema nicht wirklich am Herzen, im Gegensatz zu vielen seiner Mitstreitern, etwa Elisée Reclus.

Bakunins Verdienste liegen natürlich nicht im Feminismus, sondern in seiner Staatsanalyse, also darin, dass er klar sah, dass die Übernahme staatlicher Strukturen durch die Arbeiterbewegung nicht zu mehr Freiheit führen würde, sondern zu mehr Diktatur (so wie es dann ja leider auch gekommen ist im real existierenden Sozialismus). Sein Gedanke der freien Assoziation ist völlig richtig (und deshalb bin ich auch nicht der Ansicht, dass Bakunin keine nennenswerten Theorien hinterließ, viel viele meinen).

Viele Fehleinschätzungen

Problematisch war an Bakunin hingegen sein Revoluzzer-Gestus, der ihn zu vielen Fehleinschätzungen verleitet hat. Die Zerstörung bestehender Strukturen allein bringt halt noch keine Revolution, und man muss neue Ordnungen aufbauen. Dafür braucht man die richtigen Leute, aber Bakunin hatte eine große Begabung darin, sich immer die falschen Leute auszusuchen. So unterstützte er oft skrupellose pseudorevolutionäre Jungmacker, zum Beispiel Sergej Nechajev oder Albert Richard, die der Bewegung nur schadeten und nichts nützten. Außerdem setzte er als politisches Mittel viel zu sehr auf dubiose Geheimgesellschaften und sinnlose Aufstände. Von daher hat der Anarchismus viel von seinem weniger schönen Erbe tatsächlich Bakunin zu "verdanken". André Léo war nicht die Einzige, die sich deshalb mit ihm gestritten hat.

Trotzdem hat Bakunin immer viel Unterstützung von Frauen bekommen. Besonders wichtig war für ihn Zoja Sergeewna Obolenska, eine russische Aristokratin, die sich von ihrem Mann getrennt hatte und mit ihren drei Kindern und ihrem Lebensgefährten ein großes Haus in Vevey am Genfer See führte. Sie war Bakunins wichtigste Geldgeberin in dieser Zeit.

(Einschub: Im Juli 1869 entführte Obolenskas Ehemann mit Hilfe der Schweizer Polizei die beiden jüngeren Kinder und russische Gerichte übertrugen ihm zudem noch die Verfügungsgewalt über Obolenskas Vermögen. Sie floh mit ihrer ältesten Tochter nach Frankreich, dann nach London, später wohl nach Spanien. Die "Affäre Obolenski" wurde von Bakunin auch als Beleg für eine zunehmende Unsicherheit des Schweizer Exils genommen.)

Unterstützung von Ehefrau Antonia Kwiatkowska

Wichtig war natürlich auch die Unterstützung von Bakunins Ehefrau Antonia Kwiatkowska. Sie war Polin und deutlich jünger als er (ihr genaues Geburtsdatum weiß ich nicht), geheiratet haben sie 1857. Antonia Bakunin war politisch ebenfalls aktiv, zum Beispiel war sie eine Mitbegründerin der "Allianz der Sozialistischen Demokratie" (eine anarchistische Untergruppierung der Internationale) und Mitorganisatorin der Genfer Frauensektion der Internationale.

Antonia stellte auch Michaels freiheitliche Gesinnung auf den Prüfstand, als sie eine Affähre mit dem Italiener Carlo Gambuzzi anfing und mit ihm zusammen mehrere Kinder bekam. Sie führten dann eine Art "offener Dreierbeziehung" bis zu Bakunins Tod, danach heirateten Antonia und Carlo.

Bakunin hatte unter den Frauen aber nicht nur Freundinnen. Eine seiner vehementesten Gegnerinnen war Elisabeth Dmitireff, die Gründerin der russischen Sektion in Genf. Sie wollte aus der Internationale eine Massenbewegung machen und war aus diesem Grund völlig gegen Bakunins geheimniskrämerische Untergrundmentalität, stattdessen hielt sie es eher mit den eher "maintreamkompatibleren" marxistischen Strategien von Marx. Sie reiste deshalb nach London, wo sie den Generalrat besuchte und Karl Marx kennenlernte, bevor sie dann eine der wichtigsten Aktivistinnen der Pariser Kommune wurde.

Typischer Boys-Fight

Einer ihrer Verbündeten in Genf war Nikolaus Utin, ursprünglich ein Freund Bakunins, der sich aber durch den Einfluss Dmitrieffs von Bakunin distanzierte, was die beiden dann aber weniger auf einer argumentativen Ebene sondern als typischen Boys-Fight austrugen.

Die Atmosphäre, in der damals über solche Dinge verhandelt wurden, wird in diesem Zitat von Bakunin (aus seinen Erinnerungen) deutlich:

"In einer dieser Sitzungen des Zentralbureaus (der Genfer Allianz-Sektion) behandelte man einmal die Zulassung von Frauen in das Bureau. Ein solcher Vorschlag war von einigen Freunden gemacht worden, gründenden Mitgliedern der Allianz und ihr sehr ergeben, die aber, ohne dies zu ahnen, indem sie diesen Vorschlag machten, als unbewusste Werkzeuge der Utinschen Intrige handelten. Wer die Art und Weise vorzugehen dieses kleinen Juden kennt, weiß, dass eines seiner Hauptaktionsmittel die Frauen sind. Durch die Frauen schlängelt er sich überall hinein, selbst heute, sagt man, in den Londoner Generalrat. Er hatte gehofft, durch Vermittlung der Frauen seine kleine Fahne ohne Programm, sein kleines intrigantes Ich im Schoß der Allianz aufpflanzen zu können. Dies war eine der Ursachen, aus denen ich mich absolut der Zulassung der Frauen in unser Bureau widersetzt hatte."

Tja, so war das damals. Ich sage trotzdem: Happy Birthday, Michael. (Antje Schrupp, dieStandard.at, 5.6.2014)