Europäische Korrespondenten zogen mit dem weltbekannten Foto los: Es zeigt jenen Mann mit Einkaufstaschen, der am 5. Juni 1989 Panzer der chinesischen Armee zum Anhalten brachte - einen Tag nach dem Tiananmen-Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking.

Jetzt, 25 Jahre später, wollten die Reporter in der Barstraße Sanlitun von jungen Chinesen wissen, ob sie den legendären "tank man", wie ihn die Weltpresse damals taufte, kennen.

Die ersten Antworten lauteten "Nein". Und plötzlich war die Polizei da, nahm die Journalisten mit, verhörte sie sechs Stunden lang und warnte sie, sie sollten ihre Finger vom 4. Juni und vom Tabufoto lassen.

"Unbekannter Rebell", schrieb 1999 das Time-Magazin, das den Mann unter seine "100 bedeutendsten Personen des 20. Jahrhunderts" wählte.

Das Einzige, was er dafür an jenem Juni-Montag getan hatte, war, 17 Panzer zum Stehen zu bringen. Fünf, sechs Minuten lang hielt er sie in Schach, ließ sie nicht ausweichen, kletterte kurz auf einen hinauf. Passanten auf der anderen Straßenseite wollen ihn schreien gehört haben: "Warum seid ihr überhaupt hier in meiner Stadt?" Dann stieg er ab, blockierte die Panzer weiter. In diesem Augenblick sprinteten ein paar Männer auf ihn zu und brachten ihn weg - vermutlich in Sicherheit.

Fünf ausländische Fotografen nahmen die Szene von Balkons des 500 Meter entfernten Peking-Hotels auf, doch keiner von ihnen konnte das Gesicht des Mannes von vorn sehen. Das AP-Foto von Jeff Widener, das auf den Titelseiten hunderter Zeitungen gedruckt wurde, machte den Unerschrockenen zur Ikone der Zeitgeschichte. Der damalige US-Präsident George Bush senior sagte prophetisch: "Dieses Foto des gewaltlosen Widerstandes wird uns noch lange begleiten."

Die Identität und das Schicksal jenes Mannes aber bleibt ungelöst. 19 Jahre alt soll er sein, schrieb damals der Sunday Express. Und sein Name sei Wang Weilin. Doch Chinas Parteichef Jiang Zemin nennt das einen "Falschnamen". Der US-Journalistin Barbara Walters bestätigt er dann 1990, man habe den Mann nicht verhaften können. Er glaube, dass er noch lebe.

In China ist das Foto bis heute tabu. Kein Wunder - es ist nicht nur das wohl meistgedruckte über die Ereignisse rund um den 4. Juni 1989: Es ist auch die symbolstärkste Anklage gegen das Verbrechen, die Armee gegen das eigene Volk einzusetzen. (Johnny Erling/DER STANDARD, 4.6.2014)