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Der Meister der Origami-Mathematik, Erik Demaine, im vom Frank Gehry entworfenen Stata-Center am Massachusetts Institute of Technology (MIT).

Foto: Corbis / Rick Friedman

Wien - "Es macht Spaß, das Unmögliche zu versuchen", sagt Erik Demaine und grinst. Er teilt quadratische Blätter Papier aus, auf denen aus vielen kleinen Quadraten das Gesicht des Logikers und Mathematikers Kurt Gödel lugt. Beim Gespräch an der Fakultät für Informatik der TU Wien, wo Demaine heute, Mittwoch, eine Gödel-Lecture halten wird, gibt er ein paar Kostproben seines Schaffens.

Dazu gehört die Erkenntnis, dass konzentrisch gefaltete Rechtecke (wie in der rechten Skulptur im Bild) mathematisch gesehen nicht existieren. "Die Realität schummelt", sagt Demaine. "Im echten Leben gibt es sehr kleine Falten im Papier, wodurch sich hyperbolische Paraboloide, wie wir sie nennen, formen lassen. Mit perfektem Papier ginge das nicht." Und hier kommt Kurt Gödel ins Spiel. Schließlich hat er gezeigt: Es lässt sich nicht alles beweisen, was wahr ist. "Das ist irgendwie traurig", sagt Demaine im Gespräch mit dem Standard. "Aber so ist das Leben. Damit müssen wir zurechtkommen."

Mannigfaltige Möglichkeiten

Erik Demaine ist ein Meister darin, höchst komplexe mathematische Probleme zu Papier zu bringen, und zwar in Form von futuristisch anmutenden Origami-Skulpturen. Hinter den scheinbaren Spielereien stecken handfeste Algorithmen. Diese ermöglichen es, Faltstrukturen zu entwerfen, die in mannigfaltiger Weise eingesetzt werden können: um Riesenteleskope, die sich erst im All aufblättern, in Raketen zu quetschen oder winzige Nanoroboter durch den menschlichen Körper zu schicken. Um optimale Airbags zu entwickeln und die Bewegung von Roboterarmen zu konfigurieren.

Erik Demaine ist ein Pionier der Entwicklung von Origami-Software. Im Alter von 20 Jahren wurde er der jüngste Informatikprofessor, der je an das renommierte Massachusetts Institute of Technology (MIT) berufen wurde. Sein Lebenslauf listet 325 wissenschaftliche Publikationen, zu geometrischen Fragen genauso wie zur Mathematik des Rubikwürfels oder des Kartenspiels Uno. 2003 gewann er das hochdotierte Mac-Arthur Fellowship, vulgo "Genie-Preis" - und räumt seither eine Auszeichnung nach der anderen ab. Seine liebste: der Harvard Tetris Master.

Wenn er über seine Arbeit spricht, taucht auffallend oft das Wort "fun" auf. Der 33-Jährige mit dem weit über die Schulter reichenden Haar hat immer noch etwas von einem etwas unbeholfenen Schulbuben, dem der Schalk im Nacken sitzt. Seine ungewöhnliche Laufbahn hat jedenfalls viel mit Spaß zu tun: Mit sechs Jahren gründete er gemeinsam mit seinem Vater Martin Demaine die "Erik and Dad Puzzle Company". "Wir haben Geduldspiele aus Draht entworfen, mein Vater hat sie gebaut und an Spielzeuggeschäfte in ganz Kanada vertrieben", erzählt Demaine, 1981 in Halifax geboren. "Die Einnahmen haben wir geteilt."

Seine Eltern hatten sich schon früh scheiden lassen, und als er sieben war, nahm ihn sein Vater, ein gelernter Glasbläser und Silberschmied, aus der Schule und unterrichtete ihn zu Hause, eine Stunde täglich. Den Rest saugte das Wunderkind selbst aus Büchern. Wobei das Zuhause ständig wechselte. Vater und Sohn zogen jahrelang durch Kanada und die USA. "Als wir herumreisten, versuchten wir von jedem zu lernen, der gerade da war, von Nachbarn und jeglichen Bekanntschaften."

Weil er verstehen wollte, wie Videospiele funktionieren - nach wie vor eine seiner Leidenschaften -, hat er mit zwölf Jahren begonnen, an der Dalhousie Universität in Kanada zu studieren, und sein Vater gleich mit ihm. Mit 14 hatte er den Bachelor in der Tasche. Ein Jahr später folgte der Master in Mathematik an der Uni von Waterloo. Als er auf der Suche nach einem Thema für die Doktorarbeit war, stieß er auf die Mathematik des Faltens: "Ich wollte ein geometrisches Problem mithilfe von Informatik lösen, da hörte ich von Origami. Das klang lustig."

Mit 17 hatte er seinen ersten Durchbruch: Er zeigte, dass sich jedes beliebige Vieleck erzeugen lässt, indem man ein Blatt Papier nach dem richtigen Muster faltet und dann einen geraden Schnitt mit der Schere macht - ein Trick, den bereits der als Entfesslungskünstler bekannte Harry Houdini in den 1920er-Jahren angewandt hat. Bei seinen Vorträgen zaubert Erik Demaine auf diese Art Schmetterlinge und Schwäne hervor. "Sehr viele magische Tricks basieren auf Mathematik", sagt er.

Vater-Sohn-Gespann

Gleich nach der Promotion trat er den Job am MIT an. Nach wie vor arbeitet er eng mit seinem Vater, der ebenfalls am MIT tätig ist, zusammen. "Wir stehen uns sehr nah. Mein Vater hat mich immer wie einen Kollegen behandelt, nicht wie ein Kind." Gemeinsam kamen sie auf die Idee, Papier zu Hilfe zu nehmen, um das mathematische Problem gekrümmter Faltungen zu lösen. Heraus kamen ziehharmonikaartige Objekte, die faszinierende runde Formen bilden (im Bild links). Seit das Museum of Modern Art in New York 2008 eine Serie in seine Sammlung aufnahm, starteten die Demaines eine Künstlerkarriere.

"Es macht mir Spaß, neue Welten kennenzulernen", sagt Erik Demaine, der gern an vielen Projekten gleichzeitig tüftelt - die möglichst viele (Fach-)Grenzen überschreiten. Er kooperiert etwa mit Mikrobiologen, um die komplexe Faltung von Proteinen zu verstehen und so synthetische Eiweiße für die Medizin herstellen zu können. Er ist aber auch ein Jonglierprofi und hat jahrelang Improvisationstheater gespielt.

Derzeit arbeitet er an faltbaren Robotern: Es geht darum, eine Software zu entwickeln, die berechnet, wie die Grundstruktur aus Materialien mit integrierter Elektronik ausgeschnitten und gefaltet werden muss, um den gewünschten Roboter bei Bedarf in 3-D auferstehen zu lassen. "Das Ziel ist es, Roboter im Zehn-Dollar-Bereich zu ermöglichen, die jedes Kind selbst designen kann."

In Zukunft werden Origami-basierte Objekte eine große Rolle spielen, ist Demaine überzeugt, einfach weil flache Ausgangsstoffe, die sich erst am Ziel entfalten, viel effizientere Produktions- und Transportwege erlauben würden. Er persönlich träumt von Dingen, die sich per Falttechnik von einer Form in eine andere verwandeln können. "Ein universelles Gadget, das ein Sessel, ein Gehstock, ein Schirm oder ein Hut sein kann - damit müsste man viel weniger herumtragen. Außerdem wäre es einfach cool."

Dass er weithin als Genie bezeichnet wird, ist ihm eher unangenehm. "Ich mag das Wort nicht. Ich glaube nicht, dass ich so einzigartig bin. Ich glaube, dass viele Menschen dasselbe erreichen könnten, wenn da nicht Hürden wie das Schulsystem wären. Ich hatte das Glück, dass ich schon sehr früh die Freiheit hatte, zu erforschen, was ich wollte." Das Glück der freien Entfaltung eben. (Karin Krichmayr, DER STANDARD, 4.6.2014)