Gürtelzoo mit Schildkröte und tanzendem Walross und trotzdem kein Kinderzirkus: Festival "Crossbreeds '14" in Wien.

Foto: Lars Schmid

Wien - Dass Wien derzeit am Gürtel einen Nationalpark hat, in dem eine Galapagos-Schildkröte auf Rädern und ein tanzendes Walross leben, ist so gut wie kein Scherz - sondern als Kunstprojekt von Lars Schmid eine "Ausgeburt" des gerade in der ehemaligen Stollwerck-Schokoladenfabrik und deren Umgebung laufenden Festivals Crossbreeds '14.

Noch bis Festivalende am kommenden Sonntag kann der temporäre "Nationalpark Nachbarschaft" besucht werden, der sich von der U4-Station Margaretengürtel bis hinter die Stadtbahnbögen der U6 erstreckt. Es gibt bei Sonnenuntergang eine Safari mit der Möglichkeit, sich in eine Biene oder ein Faultier zu verwandeln, Tierfährten zu produzieren und in einer Beobachtungstonne romantisch zu zweit das zahlreich vorüberziehende zweibeinige Wild zu bewundern.

Auch wenn da manches etwas kindlich wirkt: Diese Performance ist keine Spaßpartie für Volksschüler, sondern ein ironischer Hinweis darauf, was Lebensqualität in einer Stadt bedeutet: konkret das Gegenteil von technokratischem Zu-Tode-Regulieren und Asphaltwüsten-Verlegen. Gegen das kalte Verplanen der Stadt intervenierte auch der Wiener Choreograf Daniel Aschwanden. Mit einem ausladend geflügelten "Supersuit" bekleidet, auf den "futuristische" Baumodellstrukturen projiziert wurden, stellte er sich als lebende Leinwand in den Bruno-Kreisky-Park.

Das vielfältige Programm bei Crossbreeds lässt erahnen, warum die Performance als "queere" Form der darstellenden Kunst, bei der mehrere Kunstgenres mitspielen können, heute einen so kometenhaften Aufstieg erfährt: weil sich unsere unübersichtliche Wirklichkeit wahrscheinlich am besten im Zusammenspiel aller zur Verfügung stehenden künstlerischen Mittel reflektieren lässt.

Dieser Wandelbarkeit entsprechend können Performances im Grunde überall aufgeführt werden - sogar im Theater. Oder im Park. Oder sie nehmen die Form des Flanierens an, so wie die Grätzelwanderung Raum Zeit Schleifen mit der 1941 geborenen Schauspielerin Jutta Schwarz, die im Margaretener Matteottihof aufgewachsen ist. Ihre Mitspazierer lernen dabei die Eigenheiten der Erinnerungsarbeit eines erfrischenden Wiener Originals kennen. Und im Verlauf des Streifzugs lernt man unter anderem das Café Industrie kennen - in dem Schriftsteller und "Mundl"-Erfinder Ernst Hinterberger gerne saß -, die Lyrik von Wiener Arbeiterdichtern sowie die wenig ersprießlichen Eingriffe der Müllabfuhr in die Innenhöfe der Gemeindebauten.

Auffassungen von Zeit

Bei Crossbreeds erscheint auch der ganz normale Vortrag als das, was er ist: eine Aufführung, und zwar von intellektuellen Leistungen. Das urbane Thema, das sich unter dem Vorzeichen der Reflexion verschiedener Auffassungen von Zeit durch das gesamte Festival zieht, beleuchtete am Montag zur Festivaleröffnung der renommierte Frankfurter Stadtforscher Klaus Ronneberger mit einer Analyse der Rhythmen, die den Lebensraum Stadt bestimmen. So stellte er die Kunstwerke im Festival kunstvoll in einen spannenden philosophischen Zusammenhang. Das Publikum war begeistert. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 4.6.2014)