Wenn eine Viertelmillion Menschen in rund tausend Kinos in Amerika und Europa einer schönen Sängerin in einer der bekanntesten Opern ("Carmen") bei der Interpretation der Titelrolle zuhört, erreicht die Karriere der Sängerin "eine neue Stufe" (Zitat "Der Spiegel"), und sie wird so prominent, dass sie Open-Air-Galas bestreitet. Diese finden mit Vorliebe auf Plätzen vor Kirchen oder Klöstern, inmitten hoher Berge wie Kitzbühel, auf Luxusdampfern am Wasser und auch auf bekannten Hauptplätzen in der Provinz statt.

Es spielt gar keine Rolle, welche Stücke man dort darbietet, und es ist auch sekundär, wie. Wichtig ist vor allem die Garderobe der Auftretenden und welchen Schmuck sie trägt. Dafür wird auch entsprechende Werbung gemacht, glanzvolle Fotos in prachtvollen Farben dominieren das Geschehen, begleitet von Werbung für die Sponsoren aus der Banken- und Wirtschaftswelt.

Bisher ist die Angelegenheit zwar wenig geschmackvoll und von Kunst weit entfernt, aber weiter harmlos.

Nicht harmlos ist, dass die jeweils Auftretende, der "Star" also, der den Weg in die hohen Berge, ans Wasser oder in die sonst trostlosen Niederungen gefunden hat, dafür mit einem sieben- bis achtfach höheren Betrag eingekauft wird als ihre jeweilige Höchstgage in den Opernhäusern. In jenen Opernhäusern, in denen sich die "weltbekannte Diva" durch ihre guten Leistungen ihren Namen gemacht hat. In jenen Opernhäusern, welche durch Steuergelder existieren.

Die Folge ist, und das spricht gegen jede Moral und jede Verhältnismäßigkeit und schadet dem klassischen Opernbetrieb schmerzlich, dass diese "Superstars" - wie der Boulevard und die bunten Illustrierten sie nennen - es vorziehen, immer öfter in der freien Luft zu singen, und zwar das, was sie selber wollen, als Rollen in Opernhäusern zu erarbeiten und zu interpretieren.

Mein Vorwurf für diese sich immer mehr verbreitende Entwicklung richtet sich keinesfalls gegen die Ausführenden - diese wären ja töricht, davon nicht zu profitieren -, sondern gegen jene Banken und Tourismuseinrichtungen, die diese überbezahlen und somit direkt und indirekt dem gesamten Musikbetrieb großen Schaden zufügen.

Direkt dadurch, dass die Spitzenkünstler dort, wo sie großgeworden sind, immer weniger auftreten, und indirekt, weil man eine künstlerische Darbietung vortäuscht, die allenfalls ein angenehmer Zeitvertrieb ist. (Ioan Holender, DER STANDARD, 3.6.2014)