Rund 75.000 VFR laufen derzeit in Europa. Während sich die neue an den Start machte, fuhr eine alte quer durch die Staaten

Das muss Liebe sein. So und so. Anders kann man sich das nicht erklären, was Roland Holzbauer da letztes Jahr eingefallen ist. Er packt seine Alte und seine Neue – und macht sich auf, die Staaten zu durchqueren. Die Alte, das ist eine Honda VFR, 19 Jahre alt und mit 120.000 Kilometer schon so beinander, dass wir sie in diesem Rahmen bereits einmal beleuchteten.

foto: roland holzbauer

Die Neue, das ist die Raphaela, eine charmante junge Dame, mit der er gerade einmal drei Monate verbandelt ist, als er sie in den Flieger setzt. "Ich dachte an Sonnenunter- und aufgänge, Zweisamkeit, Urlaub, Erholung und schöne Hotels", erinnert sie sich, wie das damals war, als ihr Roland von seiner Reise erzählte, die er ursprünglich alleine antreten wollte – um einen schwerkranken Freund in Portland noch einmal zu treffen und um die Route 66 zu befahren. Aber die Raphaela erst einmal im Arm, er schnell umdisponiert.

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"Am 25. Juni kam dann der große Schock", erzählt Raphaela, als sie die VFR sieht. Roland hat sie von Grafenbach abholen und von Bremerhaven nach New York verschiffen lassen. Am 25. Juni, in New York, erkennt Raphaela, die erst 100 Soziuskilometer hinter sich hat, worauf sie sich eingelassen hat.

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"Da habe ich zum ersten Mal das Motorrad samt Roland und Gepäck gesehen – und fragte mich, wo ich die nächsten sieben Wochen sitzen sollte. Aber welche Alternativen gab es schon? Also habe ich die Situation einfach akzeptiert." Aus der Akzeptanz wurde aber schnell "Freude, Begeisterung und die Gewissheit, etwas Einmaliges zu erleben", sagt sie heute.

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Bis zum ersten Juli fuhren die beiden auf der alten VFR über 1820 Kilometer durch fünf Bundesstaaten von New York bis nach Chicago. "Diese Stadt strahlt eine Ruhe, Gelassenheit und Sauberkeit aus, die wir sonst in noch keiner anderen Stadt gefunden haben", erzählt Roland.

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Am 23. Juli haben die beiden die Route 66, weitere 5434 Kilometer und acht Bundesstaaten hinter sich und erreichen die Stadt der Engel. Von Los Angeles sind es noch 3506 Kilometer bis nach Portland, wo die beiden am 12. August dem Freund einen Krankenbesuch abstatten, bevor sie sich wieder auf den Rückweg machen.

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13 Bundesstaaten, 10.760 Kilometer mit einem Motorrad, das jetzt mehr als 130.000 Kilometer am Tacho hat – und kaum Anstalten machte, die Reise nicht durchstehen zu wollen. "Die Simmerringe bei der Vordergabel wurden am 2. Juli bei 123.300 km undicht, sodass das Gabelöl über die Bremssscheiben lief und ein Tausch der Simmerringe unumgänglich wurde.

foto: roland holzbauer

Am 20. Juli brauchten wir, in der Wüste zwischen Nevada und Kalifornien, bei 107.400 Kilometer einen neuen Hinterreifen, weil wir uns einen Metallsplitter eingefahren haben, und in der letzten Woche tauschten wir nach Startschwierigkeiten die Batterie – dabei merkte ich später, dass weder die Batterie, noch wie vermutet der Laderegler defekt war, sondern die Lichtmaschine nach fast 20 Jahren den Dienst quittierte", zählt Roland alle Schäden während der Reise auf.

foto: roland holzbauer

Und weil sich die VFR so wacker geschlagen hat, weil sie für ihn das perfekte Motorrad ist, warf er ein weiteres Mal seinen Plan um, und ließ die Honda nicht in Portland zu Grabe tragen, sondern organisierte den Transport nach New York, ließ sie von dort nach Europa verschiffen und hat sie über den Winter sogar neu lackiert.

foto: roland holzbauer

Aber wäre es nicht günstiger gewesen, in den Staaten ein Motorrad für die Reise zu mieten? "Nein", sagt Roland und rechnet vor: "Hin- und Rücktransport samt Versicherung haben 3800 Euro gekostet, ein Leihmotorrad für sieben Wochen und die Einwegmiete wären auf rund 5000 Euro gekommen – abgesehen davon mag ich meine VFR und wollte unbedingt mit ihr fahren."

foto: roland holzbauer

Insgesamt kamen die beiden mit 8500 Euro für Transport, Flüge, Motels, Verpflegung und Sprit aus. Und die VFR fahren die beiden immer noch und mussten sie nicht abschreiben.

foto: roland holzbauer

Das ist auch der Hintergrund, vor dem die neue VFR heuer durchstartet. Sie ist mit dem 782 Kubikzentimeter große V4-Motor ein Dauerläufer, der quasi konkurrenzlos ist – am nächsten kommt ihr die Zweizylinder-BMW F 800 GT.

foto: honda

Vollverkleidete Tourer der Mittelklasse, die sportlich sind, aber eine durchaus bequeme Sitzposition bieten, gibt es heute so kaum noch – während die aktuelle Honda VFR 800 F alles deutlich besser kann als ihre Vorgängerin – geschweige denn das Oldie-Bike, das Roland fährt. Die Umschaltung vom Zwei- auf den Vierventil-Betrieb ist inzwischen so sanft, dass man es kaum noch merkt, der Kühler sitzt nun nicht mehr auf der Seite, sondern vorne, wodurch das ganze Motorrad schmaler wurde.

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Honda senkte den Verbrauch im Vergleich zur Vorgängerin um weitere zehn Prozent, wodurch mit dem 21,5 Liter fassenden Tank nun Reichweiten von 400 Kilometer und mehr möglich sind. Zudem wurde der Durchzug aus dem Drehzahlkeller deutlich verbessert. Mit 106 PS und 75 Newtonmeter ist sie kein Kraftlackl, lässt sich aber ordentlich sportlich fahren. Durch den höheren Lenker wurde die Sitzposition noch einmal angenehmer.

foto: honda

Beim Fahrwerk holt sie sich auch nur Lob ab, mit Traktionskontrolle, ABS und selbstrückstellendem Blinker kann sie weit mehr als Rolands 1994er-VFR. Die Aktuelle schaut richtig scharf aus und setzt mit den LEDs noch eines drauf. Um 13.790 Euro ist sie also ein mehr als faires Angebot. Doch nicht für den Roland. Der will erst seine alte VFR zu Ende fahren. Und wie das jetzt ausschaut, kann das noch einmal 20 Jahre und 100.000 Kilometer dauern. (Guido Gluschitsch, derStandard.at, 2.6.2014)

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Honda

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foto: roland holzbauer

Honda VFR 800 F

Motor: 4 Zylinder-4-Takt-Motor, V-Tec, 16V
Hubraum: 782 ccm
Leistung: 77,9 kW (106 PS) bei 10.250 U/min
Drehmoment: 78 Nm bei 8.500 U/min
Kraftübertragung: 6-Gang-Getriebe, Kette
Radaufhängung vo.: 43 mm Teleskop-Gabel
Radaufhängung hi.: Schwinge mit Pro-Link-System
Bremse vo.: Doppel-Scheibenbremse, Ø 310 mm, radial befestigte 4-Kolben-Zange, ABS
Bremse hi.: Scheibenbremse, Ø 256 mm, 2-Kolben, ABS
Reifen vorne: 120/70 ZR17
Reifen hinten: 180/55 ZR17
Gewicht vollgetankt: 239 kg
Sitzhöhe: 789 + 20 mm
Preis: ab 13.790 Euro


Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die Teilnahme an internationalen Fahrzeug- und Technikpräsentationen erfolgt großteils auf Basis von Einladungen seitens der Automobilimporteure oder Hersteller. Diese stellen auch die hier zur Besprechung kommenden Testfahrzeuge zur Verfügung.

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