Im Innsbrucker Ho&Ruck werden Langzeitarbeitslose über die Beschäftigung wieder in die Gesellschaft integriert. Soziale Kontakte zu Kunden sowie Mitarbeitern werden wieder aufgebaut.

Foto: Florian Lechner

Innsbruck - Arbeit ist Arbeit, da wird hier kein Unterschied gemacht. Zwei junge Frauen wuchten eine massive Couch auf einen Hubwagen. Rums. Martina* stützt zufrieden die Hände in die Hüften, atmet durch. Nadja zieht gleich kräftig am Griff und befördert das Möbelstück einmal quer durch die Verkaufshalle. Aufgrund des Ratterns wenden ihr kurz zwei männliche Mitarbeiter hinter einem Tresen den Blick zu, unbeeindruckt.

Biografien mit Einschnitten

Unterschieden wird im Innsbrucker Ho&Ruck auch nicht nach Lebensgeschichten. Man halte zusammen, es sei fast wie in einer Familie. Jeder, der hier arbeitet, hat eine Biografie mit Einschnitten. Claudia ist etwa Alleinerzieherin dreier Kinder, früher ging sie putzen, dann wurde sie arbeitslos. Nadja ist 23 Jahre alt und geht abends nicht nach Hause, sondern zurück in die Justizanstalt. Sie ist Freigängerin, 15 Monate offener Vollzug.

Das Ho&Ruck ist ein sozialökonomischer Betrieb für Langzeitarbeitslose und bietet drei verschiedene Dienstleistungen: Wohnungsräumungen und Transport, Möbelreparatur und Restauration sowie den Verkauf auf einem ganzjährigen Flohmarkt, der einer tausend Quadratmeter großen Schatzkiste gleicht.

Es gibt im Grunde alles außer Kleidung: In einer Ecke stapeln sich Teller, Pfannen und Tischdecken, von der Decke hängen Luster und vergilbte Lampenschirme, am anderen Ende der Halle findet man wunderschöne Antikkommoden sowie abgesessene Polstermöbel. "Wir freuen uns über alles", sagt Geschäftsführer Wilfried Hanser und schaut lächelnd durch den Raum, als wäre er zum ersten Mal da.

Start vor 30 Jahren

Als er das Projekt vor mehr als 30 Jahren startete, lief es noch unter dem Titel "experimentelle Arbeitsmarktpolitik". Heute gilt der Betrieb als Erfolgsmodell, das in zahlreichen Städten Österreichs übernommen wurde. Betrachtet man die derzeitige Arbeitsmarktsituation, hat es nie an Relevanz verloren.

Wo ein Unterschied gemacht wird, ist vor dem Betriebsgelände der ehemaligen Innsbrucker Lodenfabrik. Um im Ho&Ruck unterzukommen, muss man zumindest vier Monate arbeitslos gewesen sein. Der durchschnittliche Mitarbeiter war es eher zwei Jahre lang, sagt Hanser.

"Was wir betreiben, ist auch ein Kampf um die Würde der Menschen, die von sozialer Ausgrenzung bedroht sind. Es ist ein grobes gesellschaftliches Unrecht, dass behauptet wird, Arbeitslose seien faul. Das stimmt in mehr als 90 Prozent der Fälle nicht."

Während Hanser spricht, lässt sich eine ältere Dame in Kostüm einen Holztisch zum Auto tragen. An dem Projekt sei auch wichtig, dass die ehemals Arbeitslosen wieder in die Gesellschaft integriert werden, soziale Kontakte mit Kunden und Mitarbeitern aufbauen. Armut bedeutet nicht nur Mittellosigkeit. Es fehlen einem die Netzwerke: eine neue Wohnung finden, ein Tipp, wo man günstig einkaufen kann - viele Informationen, die man braucht, um den Alltag zu bewältigen, bekommt man über Kollegen und Freunde.

Ein Übergangsmodell

Das Ho&Ruck versteht sich als Übergangsmodell. An einer Tür im Mitarbeiterbereich steht "Perspektivenwerkstatt". Dahinter finden einmal wöchentlich Gespräche mit einer Sozialarbeiterin statt. Denn nach einem Jahr ist jeder wieder auf sich gestellt, bekommt zwar noch Nachbetreuung, sollte aber bestenfalls schon einen neuen Job haben.

Durch die Werkstatt schallt klassische Musik. An einer Säule klebt das "Manifest der Selbstreparierer". "Reparieren bedeutet Unabhängigkeit" oder "Reparieren befähigt und ermutigt Individuen" ist darauf zu lesen. Wenn man sagen will, dass Menschen auch deshalb ins Ho&Ruck kommen, um ihr Leben zu reparieren, ist das Manifest wohl ebenso im übertragenen Sinne zu verstehen. (Katharina Mittelstaedt, DER STANDARD, 2.6.2014)

*Die Namen der Mitarbeiter wurden von der Redaktion verändert.