Österreich nütze das Potenzial der gut ausgebildeten Zuwanderer zu wenig, kritisiert Minister Sebastian Kurz (ÖVP).

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STANDARD: Vor 50 Jahren kamen die ersten Gastarbeiter in Österreich an. Ein Jubiläum zum Feiern?

Kurz: Nicht nur. Diese Menschen haben Österreich vielfältiger gemacht und waren dank ihrer Leistung ein Turbo für unsere Wirtschaft. Es ist aber auch Selbstkritik angebracht: Die Republik hat vieles falsch gemacht. Die Gastarbeiter bekamen auf den Bahnsteigen oft Wein und Blumen überreicht, doch niemand hat sich die Frage gestellt, ob sie die deutsche Sprache lernen sollen und wie man ihre Kinder unterstützen kann, damit diese im Bildungssystem erfolgreich sind. Hätten wir schon damals mit einer ordentlichen Integrationspolitik begonnen, hätten wir uns viele Probleme erspart.

STANDARD: Dann würden Sie vielleicht gar nicht hier sitzen.

Kurz: Unsere Arbeit wäre jedenfalls um vieles leichter.

STANDARD: Was können Sie aus der Geschichte lernen? Die Zuwanderung ist auch jetzt wieder stark ...

Kurz: ... aber mit der damaligen Welle nicht vergleichbar. Die klassischen Gastarbeiterländer spielen nicht mehr die gleiche Rolle. Mittlerweile ziehen mehr Menschen aus Deutschland in die Türkei als umgekehrt - das dürfte in Österreich bald genauso sein. 57 Prozent der Zuwanderer kamen letztes Jahr aus der EU, darunter viele Deutsche und Ungarn, die sehr gut ausgebildet sind. Doch wir nützen als Staat dieses Potenzial zu wenig, weil Qualifikationen oft nicht anerkannt werden.

STANDARD: 28 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund sind für ihren Job überqualifiziert.

Kurz: Das ist nicht nur für die Betroffenen frustrierend, wir betreiben damit volkswirtschaftlichen Unsinn. Lässt eine Krankenschwester ihre Ausbildung in Wien anerkennen, ist damit nicht gesagt, dass sie auch im Burgenland arbeiten darf. Was soll das?

STANDARD: Was tun Sie dagegen?

Kurz: Ich bereite ein Berufsanerkennungsgesetz vor, um das unnötig komplizierte System übersichtlich zu machen. Die Eckpunkte: Für Menschen aus Drittstaaten sollen die gleichen Regeln wie für EU-Bürger gelten - es zählt nicht, woher die Menschen kommen, sondern was sie leisten. Derzeit muss ein Betroffener erst die Anerkennung der Qualifikation beantragen und dann auch noch den Beruf - dieser doppelte Weg soll der Vergangenheit angehören. Weiters will ich auch in nichtreglementierten Berufen eine Bewertung der Qualifikation zulassen, weil das eine Bewerbung mitunter erst möglich macht. Auch eine zentrale Statistik der Anerkennungen soll es künftig geben.

STANDARD: Ab wann soll das gelten?

Kurz: Wir werden dafür wie die Deutschen, deren Gesetz wir als Vorbild nehmen, ein paar Jahre brauchen, da ja viele verschiedene Stellen zuständig sind: Kammern, Länder, Ministerien.

STANDARD:  Ein weiteres Projekt ist das zweite verpflichtende Kindergartenjahr. Wann kommt das?

Kurz: Das hängt von der budgetären Lage ab. Ich bleibe jedenfalls dabei: Es muss sichergestellt sein, dass Kinder beim Schuleintritt der deutschen Sprache mächtig sind.

STANDARD: Das zeigt die gewisse Ohnmacht Ihres Amtes: Sie kön-nen sich etwas wünschen - das Geld haben andere. Werden Sie nicht als Ankündigungsweltmeister enden?

Kurz: Bei jeder Querschnittsmaterie braucht man als Politiker Partner. Aber ich behaupte: In meinen drei Jahren im Integrationsbereich wurde mehr umgesetzt als in 30 Jahren zuvor. Zum Beispiel wird nun mehr Geld in die sprachliche Frühförderung investiert. Projekte wie die mit der Caritas aufgebauten Lerncafés haben unzähligen Kindern geholfen, eine erfolgreiche Bildungskarriere zu schaffen. Und bei anderen Anliegen bleiben wir weiter drauf.

STANDARD: Was meinen Sie?

Kurz: Das neue Islamgesetz, dessen gültige Fassung von 1912 stammt, ist überfällig. Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch, da verstehe ich nicht, warum der verantwortliche Kultusminister Josef Ostermayer nicht endlich den Gesetzgebungsprozess startet. Schließlich geht es um die wichtige Regelung von Rechten und Pflichten für die Muslime, immerhin die zweitgrößte Religionsgemeinschaft in Österreich.

STANDARD: Zum Beispiel?

Kurz: Die muslimischen Gemeinschaften sollen das klar geregelte Recht bekommen, ihre Toten nach ihren Vorstellungen auf eigenen Friedhöfen zu beerdigen, statt auf die willkürliche Entscheidung eines Bürgermeisters angewiesen zu sein; auch ein Anspruch auf Seelsorge fehlt. Unter die Pflichten fällt etwa, dass das österreichische Recht Vorrang gegenüber religiösen Vorschriften hat ...

STANDARD: ... was sich bereits aus der Verfassung ergibt. Muslimische Vertreter wollen eigene Feiertage. Werden sie diese bekommen?

Kurz: Nein. Österreich hat schon jetzt vergleichsweise viele Feiertage. Wer wann freibekommt, lässt sich gut im Betrieb ausmachen.

STANDARD:  Das Motto, Benachteiligten Chancen zu geben, könnten Sie auch als Außenminister leben - trotzdem kürzen Sie im nächsten Jahr die Entwicklungshilfe. Ist das nicht eine Schande für eines der reichsten Länder der Welt?

Kurz: Ich bin froh, dass es gelungen ist, dass 2014 nichts eingespart wird - und ja, ich hätte gerne auch 2015 mehr Geld für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung. Ich hoffe, dass sich alle Ressorts der Gesamtverantwortung bewusst sind, einen Beitrag leisten und wir beim Budgetvollzug letztendlich ohne Kürzungen auskommen.

STANDARD: Das Regierungsprogramm verspricht das krasse Gegenteil: Steigerung der Entwicklungshilfe von 0,28 Prozent auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist doch unehrlich.

Kurz: Das ist ein hochgestecktes Ziel, von dem wir meilenweit entfernt sind. Es braucht einen Kraftakt der gesamten Regierung, im Außenministerium werden ja nur 15 Prozent der gesamten Mittel für Entwicklungszusammenarbeit abgewickelt.

STANDARD: Noch bekannter als Sie ist im Ausland Conchita Wurst, die in der ÖVP eine heikle Debatte befeuert hat. Sind Sie für völlige Gleichstellung von Homosexuellen, etwa für ein Adoptionsrecht?

Kurz: Ich bin gegen jede Form von Diskriminierung. Doch die Debatte wird in der ÖVP bereits von drei Ministern geführt - da braucht es keinen weiteren, der sich einmischt. Das tue ich nur intern.

STANDARD: Der Reformprozess wird nach dem trügerischen VP-Sieg bei der EU-Wahl nicht einschlafen?

Kurz: Definitiv nicht. Der erste Platz ist die beste Basis, um mit Begeisterung einzusteigen.

STANDARD: Erster waren die Konservativen auch europaweit. Trotzdem muss ihr Kandidat Jean-Claude Juncker um seine Wahl zum Kommissionspräsidenten bangen, weil sich einige Regierungschefs querlegen. Verstehen Sie das?

Kurz: Nein. Ich habe kein Verständnis dafür, sich nicht an das zu halten, was ausgemacht war: Es gab eine klare Übereinkunft, dass der Wahlsieger die Kommission anführen soll, weil das ein wichtiger Schritt zur Demokratisierung der EU wäre. Juncker muss Kommissionspräsident werden - alles andere wäre Wählertäuschung. (Gerald John, DER STANDARD, 31.5.2014)