"New Buildings for Berlin" mit Gordon Matta-Clarks Collage "Reality Properties - Fake Estates" im Hintergrund.

Foto: Stephan Wyckoff

Starkünstlerin Isa Genzken.

Foto: Kunsthalle wien / Andrea Fichtel

Wien - Reflexion der Reflexion, Kunst als Spiegel zur Unendlichkeit: Zwei ebenso wuchtige wie elegante Spiegelquader reflektieren in jedem Sinn des Wortes Isa Genzkens Denken. Architektur und Mensch, Gesellschaft und Urbanität, Globalität und Individualität, Innen und Außen, Sein und Schein: New Buildings for Berlin, ihre abstrakten Wolkenkratzerwunderwesen aus farbigem Industrieglas, zeigte sie erstmals auf der Documenta 11. Soziale Fassaden nennt sie die mit Spiegelfolie und Blechstreifen überzogenen Bildkörper, Strandhäuser zum Umziehen ihre zehnteilige, aus teils billigem Plastikmaterial hergestellte Serie an der Schnittstelle von Architekturmodell und Kunst, Stelen jene an Hochhäuser erinnernden, mit Glitterbändern und Stadtansichten beklebten Säulen. Die Ellipsoiden und Hyperbolos aus den 1970er-Jahren - stromlinienförmige, bunt lackierte Holzskulpturen, deren Design Genzken per Computer errechnen ließ - scheinen über dem Boden zu schweben.

Fotos, Bücher, Installationen, Objekte, Skulpturen: Kunsthallenchef und Ausstellungskurator Nicolaus Schafhausen inszeniert das sich jeder Kategorisierung widersetzende Werk, stellt Bezüge her, initiiert Diskurse zwischen Betrachtern und Werken, aber auch zwischen Kunst (von Genzken) und wieder Kunst (von ihrem Exmann Gerhard Richter etwa und ihren Freunden Lawrence Weiner, Jasper Johns, Dan Graham, Carl Andre, Gordon Matta-Clark, Wolfgang Tillmans, Kai Althoff).

STANDARD: Sie gelten als jemand, der nur wenigen Ausstellungsmachern vertraut. Gehört Nicolaus Schafhausen zu ihnen?

Genzken: Unbedingt! Ich leiste mir den Luxus und lehne viele Ausstellungen ab. Er versteht meine Kunst, wir kennen einander lange, haben viel miteinander gemacht, etwa Urlaub im Jahr 2000, 2012 Halleluja im Schinkel-Pavillon in Berlin und 2007 den Deutschen Pavillon bei der Biennale in Venedig. Ich finde schön, dass er nicht chronologisch vorgegangen ist, die Arbeiten nicht einfach aneinandergereiht, sondern zueinander in Bezug gesetzt hat. Die Ausstellung im MoMa war dagegen viel konventioneller. Die Ausstellung in der Kunsthalle Wien entspricht viel mehr meiner Arbeitsweise.

STANDARD: War es Ihre Idee, auch Werke anderer Künstler zu zeigen?

Genzken: Das sind meine Freunde, ich liebe ihre Kunst. Die Idee kam von Nicolaus, und ich fand sie schön. Es ist gut, wenn Kunst und Freundschaft zusammenkommen.

STANDARD: Welche Kunst mögen Sie nicht?

Genzken: Kunst, die verlogen und angepasst ist und gleich von vornherein aussieht, als wär's Kunst: Das interessiert mich gar nicht.

STANDARD: Gibt es Namen dazu?

Genzken: Nee, das sind zu viele (lacht). Aber meine Kunst entsteht nicht in Abgrenzung zu anderen.

STANDARD: Sie kümmern sich nicht um Wiedererkennbarkeit und machen es den Betrachtern nicht gerade leicht.

Genzken: Eigentlich sehne ich mich danach, dass sich die Betrachter bei meinen Arbeiten wohlfühlen. Ich denke nie, ich mache jetzt ein beschissenes Kunstwerk, damit sich die Leute beschissen fühlen. Ich versuche, eine gewisse Lockerheit hineinzubringen. Das mag ich an dieser Ausstellung: Sie ist so leicht.

STANDARD: Fotografie, Skulptur, Malerei, Bücher: Gibt es so etwas wie eine Hierarchie der Materialien oder Medien?

Genzken: Hierarchie in dem Sinn nicht. Ich sage immer, die Arbeiten müssen aussehen, als wären sie vom Himmel gefallen. Ich versuche, eine Selbstverständlichkeit hinzukriegen.

STANDARD: Sie arbeiten in Serien. Wann ist eine Werkgruppe für Sie zu Ende?

Genzken: Ich mache etwas so lange, bis ich die Schnauze voll habe. Da geht es nicht um drei Stück, sondern mein Atem muss so lange anhalten, bis ich gesagt habe, was ich sagen wollte. Dann mache ich wieder etwas anderes. Mir ist wichtig, dass ich zunächst nicht weiß, ob ich es überhaupt kann. Am Ende einer Serie weiß ich: Jetzt kann ich es wirklich. Dann fängt es an, mich nicht mehr zu interessieren.

STANDARD: Kunst im Raum und Raum in der Kunst: Könnte man sagen, dass Ihre Arbeit - und auch diese Ausstellung - mit Musik, Rhythmus, Komponieren zu tun hat?

Genzken: Unbedingt. Ich bin mit Musik aufgewachsen. Mein Vater hörte fast nur Wagner und dann Beethoven. Das musste ich mir schon als Zweijährige anhören. Als ich ihn fragte, ob wir nicht Mozart hören könnten, sagte er: "Nee. Der sang in den Gassen, der war nicht so gut wie Beethoven."

STANDARD: Hören Sie beim Arbeiten Musik?

Genzken: Selten. Es ist ganz still. Ich habe auch keine Assistenten. Es gibt ja genug Künstler, die alles in Auftrag geben. Ich nie. Sondern ich gucke immer wieder hin und überlege, wie ich es ändern kann. Das ist nicht nur Happiness, sondern oft Stress. Ich kann mich nicht immer ganz auf mich verlassen. Aber wenn ich das Gefühl habe: So, jetzt ist es das, was ich wollte, dann ist immer eine gewisse Verlässlichkeit da.

STANDARD: New York ist in vielen Ihrer Arbeiten zu spüren und zu sehen: "I Love New York, Crazy City" heißt Ihr Collagen-Buch. Was genau lieben Sie an der Stadt?

Genzken: New York macht nicht depressiv, im Gegensatz zu Berlin. New York ist viel verrückter, offener, die Architektur ist einmalig schön.

STANDARD: Gibt es einen Unterschied zwischen amerikanischer und europäischer Kunst?

Genzken: In Europa müssen Künstler Kunstakademien besuchen. Die Amerikaner tun das nicht, die studieren eher Philosophie. Ich bin auch nie zu meinem Lehrer gegangen, sondern schaute mir Ausstellungen an. Konrad Fischer, der beste Galerist, den ich damals finden konnte, zeigte alle amerikanischen Künstler, auch Minimal Art. Das inspirierte mich zu meinen Ellipsoiden und Hyperbolos. An den Akademien hieß es, Minimalism dürfe keine Bedeutung haben. Das war mir egal - ebenso, dass sie die Ellipsoiden abfällig "Zahnstocher" nannten.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt, Sie mögen keine langen Ausstellungstitel. "I'm Isa Genzken, The Only Female Fool" ist nicht gerade kurz.

Genzken: Meine Titel entstehen eher intuitiv. Man kann ruhig einen Schritt zurücktreten und die Dinge aus der Distanz betrachten. Der Akzent liegt auf Fool, das ist komödiantisch gemeint, man kann es aber auch abstrakter sehen: Die Welt ist voll von Menschen, die als Kinder von Frauen geboren wurden. Ich fühle mich als die einzige Frau, die kein Kind geboren hat.

STANDARD: Sie gelten als extrem interviewscheu. Warum?

Genzken: Weil ich selten auf Menschen treffe, deren Fragen so sind, dass ich sie gern beantworte. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 31.5./1.6.2014)