Freiheit ist der Knopfdruck des Polizisten im Wasserwerfer: Der türkische Staat rüstet sich an diesem Wochenende für eine neue Auseinandersetzung mit seinen Bürgern. Ein Jahr nach den Gezi-Protesten sind Zusammenstöße mit der Polizei und die gewaltsame Auflösung von Demonstrationen, die nicht auf Linie mit der konservativ-islamischen Regierung sind, Routine geworden.

Regierungschef Tayyip Erdogan hat seine Autorität und die Macht seiner Partei in der Zeit nach der Besetzung des Gezi-Parks wiederherstellen können. Allerdings um den Preis einer gefährlichen, von Erdogan immer aufs Neue betriebenen Spaltung der Gesellschaft. Dass sich der Premier - oder ab August: Präsident - auf lange Sicht halten kann, glauben Entscheidungsträger in der Wirtschaft nicht mehr. Zu groß ist der innere Druck, unter dem das Land nun steht; zu eng auch die Verzahnung der Türkei mit der EU und dem Westen, als dass sich mit Zensur, Verschwörungstheorien und Aushebelung der Gewaltenteilung regieren ließe.

Nach der Armee und den einstigen Glaubensbrüdern der Gülen-Bewegung taucht nun die 20-Prozent-Minderheit der liberal gesinnten Aleviten als nächster Gegner des Systems Erdogan auf. Die Türken in Deutschland beschimpfte er bereits entsprechend als glaubenslose Muslime. Der ungeklärte tödliche Schuss eines Polizisten bei einem der jüngsten Zusammenstöße in Istanbul auf einen unbeteiligten Aleviten gilt vielen als böses Vorzeichen.  (DER STANDARD, 31.5.2014)