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Mit Übungen sollen Chinas Sicherheitskräfte für die Anti-Terror-Kampagne der Regierung geeicht werden.

Foto: REUTERS/China Daily

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In Peking trainieren Polizisten Tränengas-Einsätze gegen Demonstranten.

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Chinas Regierung lässt nach Großrazzien und mehr als 200 Festnahmen in der Muslim-Minderheitenprovinz Xinjiang die Verfolgung mutmaßlicher Terroristen landesweit ausweiten. Die vorerst auf ein Jahr bis Juni 2015 angeordnete Anti-Terrorismus-Kampagne sei von den "Zentralbehörden genehmigt" worden, meldete der Staatsrundfunk diese Woche in seiner Hauptnachrichtensendung.

Die Mobilisierung soll die konzertierten Polizeiaktionen in Xinjiang unterstützen und ergänzen, "um zu verhindern, dass sich Terrorakte ins Inland hinein verbreiten können". Zuvor hatte demnach das Sicherheitsministerium beschlossen, die einjährige Kampagne als "nationale Polizeioperation gegen Terrorismus und religiösen Extremismus" auf ganz China zu erweitern, nachdem sie offiziell zuerst in Xinjiang gestartet war. Aus der Provinzhauptstadt Urumqi kamen erste Erfolgsmeldungen: "23 Terror- und religiös extremistische Gruppen wurden ausgehoben", schreibt die Nachrichtenagentur Xinhua unter Berufung auf regionale Polizeistellen. Die Behörden beschuldigen die im Ausland operierende "islamische Bewegung für Ostturkestan (ETIM)", hinter dem Terrorismus in Xinjiang zu stehen.

"Harter Test für Behörden"

Medienberichte preisen die Verstärkung der Polizeieinheiten in ganz China, ihre waffenstarrende Aufrüstung und neuen Trainingslager. Unter den täglichen Meldungen verschärfter Kontrollen des Straßenverkehrs, neu eingeführten Hubschrauberpatrouillen über Peking oder Personenchecks in den U-Bahnen, können sich die wenigen Warnungen vor Missbrauch und Übergriffen nur verhalten äußern.

Wenn die Staatsmacht unbeschränkt ausgeübt wird, "kann sie legitime Rechte des Volkes verletzen", zitiert Xinhua immerhin Sozialwissenschafter Liu Renwei. Er sorge sich, wie die Abwägung in der Praxis ausfällt zwischen Sonderrechten, die Polizei und Behörden zur Terrorbekämpfung erhalten, und dem Schutz der Redefreiheit und der Privatsphäre der Bürger. "Im Krieg gegen den Terrorismus wird diese Frage zum harten Test für die Behörden."

Pekings Führung verkündet indes eine "neue Realität" für China, an die sich die Bürger zu gewöhnen hätten. Die neue landesweit durchgesetzte Anti-Terrorismus- Abwehr unterscheide sich von früheren derartigen Polizeiaktionen, weil sie nicht nur "den Sicherheitspegel anhebt, sondern solche Maßnahmen zur regulären Praxis macht", sagte Chinas bekanntester Anti-Terrorismus-Experte Li Wei vom Pekinger Institut für Internationale Studien zu Xinhua. Die Agentur schrieb, dass sich derzeit die Öffentlichkeit angesichts der massiven Polizeipräsenz an die Sicherheitsmaßnahmen während der Olympischen Spiele 2008 erinnert fühle. Damals seien mehr als 100.000 Anti-Terror-Beamte zum Schutz aufgeboten worden. "Was jetzt anders ist: Olympische Spiele haben immer ein Ende. Nicht so die unter der aktuellen Sicherheitslage heute notwendigen Anti-Terror-Maßnahmen. Sie werden künftig jedermanns Leben begleiten."

Auslöser der inzwischen immer häufiger als Krieg bezeichneten Kampagne wurde vergangene Woche ein besonders brutaler Selbstmord-Terroranschlag auf einen Gemüsemarkt in Urumqi mit 43 Toten. Zuvor starben Ende April nach einem Selbstmordanschlag auf dem Bahnhof von Urumqi drei Menschen, 79 wurden verletzt. Im März hatte ein Anschlag einer Terrorgruppe 29 Tote und 143 Verletzte unter den Reisenden am Bahnhof Kunming gefordert.

Vergleich mit Ratten

Die Attentate in Urumqi kamen zeitgleich mit öffentlich verkündeten Anti-Terror-Initiativen des chinesischen Staatschefs Xi Jinping. Peking fühlte sich so von ihnen direkt herausgefordert und provoziert. Parteichef Xi kündigte eine "Politik der harten Faust" gegen Terroristen an. Sie müssten sich künftig so verfolgt fühlen, als seien sie "auf der Straße laufende Ratten, bei deren Anblick alle schreien: Erschlagt sie!" Am Freitag wiederholte er seine Aufforderung zu entschlossenem Vorgehen: "Netze von der Erde bis in den Himmel" sowie "Wände aus Kupfer und Stahl" sollten errichtet werden, zitierte ihn Xinhua.

Zuletzt waren Unruhen zwischen der muslimischen Minderheit der Uiguren und den Hanchinesen im unterentwickelten Xinjiang 2009 eskaliert. Damals kam es zu blutigen Ausschreitungen und pogromartigen Übergriffen auf Hanchinesen in Urumqi, bei denen an nur einem Tag mehr als 190 Menschen starben. Die Einzelanschläge der jüngsten Zeit lässt Peking nicht als Minderheitenunruhen, sondern als internationalen Terrorismus verfolgen. (Johnny Erling, derStandard.at, 30.5.2014)