Pekings Internet- und Sicherheitsbehörden sind im ernst gemeinten Katz und Maus-Spiel um die Kontrolle von Chinas gigantischer Online-Gemeinde seit Mittwoch wieder am Zug. In einer gemeinsam gestarteten Kampagne wollen die Ministerien für Öffentliche Sicherheit, für Industrie und Informationstechnologie (MIIT) und das Staatliche Internet Informationsamt (SIIO) als erstes die großen "öffentlichen Chaträume“ im Messenger-Plattform System vor kritischen Gedenktagen weiter einschränken. Innerhalb eines Monats sollen die sieben größten Messengerdienste dafür unter ihre Kontrolle kommen.
WeChat unter Kontrolle
Besonders gilt das für die von Tencent entwickelte Messenger-App WeChat. Die im chinesischen "Weixin“ (Mikro-Nachrichten) genannte App ist unter heute 800 Millionen Nutzern zur enorm populären Plattform geworden. Anders als das einst twitter-ähnliche Weibo, wo über Mikroblogs große Menschenmassen erreicht werden können, erlaubt das seit 2011 verbreítete Wechat enorm vielfältige Online-Kommunikation meist für kleine Chatgruppen bis zu 500 Teilnehmern.
WeChat nutzen private Gruppen, Familien bis Schulvereine, aber auch gewerbliche An- und Verkaufs-Weidian (Mikroläden) oder Werbe-Zirkel, ebenso wie Nachbar-, Freundes- oder Lesekreise. Offiziell meldet Tencent heute 650 Millionen registrierte Einzelkonten. Die Kommunikation innerhalb der WeChat-Initiativen über Text, Bild, Video oder Voice ist umsonst.
Anti-Gerüchte-Kampagne
Der Boom für Wechat wurde noch amtlich angefacht, nachdem die Behörden über eine Anti-Gerüchte-Kampagne von September 2013 an die Weibo-Mikroblogs attackierten. Spektakuläre Festnahmen einflußreicher sogenannter Weibo-Meinungsführer als "Gerüchteverbreiter“ und die Kriminalisierung der Weiterverbreitung von Gerüchte-Mikroblogs, wenn sie hohe Kopie- oder Leserzahlen erreichten, verschreckten Weibo-Teilnehmer. Millionen wanderten in den vergangenen Monaten zu WeChat als Alternative ab.
"Untergraben Ordnung im Cyberspace"
Nun folgen ihnen die Behörden nach. Die Begründungen für ihr Eingreifen lauten "Kampf gegen Gerüchte“ (China Daily), gegen "illegale Handlungen“(Global Times), oder "Mißbrauch der Messengerdienste“ (Xinhua). Schon die unterschiedlichen Überschriften von Zeitungen am Mittwoch zeigen die Bandbreite der neuen Kampagne. Sie richte sich gegen alle, die Wechat benützten, "um illegale und schädliche Informationen zu verbreiten“
Sie "untergraben damit ernsthaft das allgemeine Interesse und die Ordnung im Cyberspace.“ Solche Ankündigungen entfachten am Mittwoch online Proteste gegen die weitere "Entmündigung“ des Bürgers und den "Angriff auf Meinungsfreiheit und Privatsphäre.“
Erinnerung an Tiananmen-Massaker
Der Start der Zensurkampagne kommt eine Woche vor dem 25.Jahrestag zum Gedenken an das Tiananmen-Massaker des 4. Juni 1989. Offenbar wollen die Behörden auch verhindern, dass die WeChat-Plattformen als Medium für Protest- oder Gedenkaktionen genutzt werden können.
In der offiziellen Erklärung zur Kampagne heißt es nach Angaben von Xinhua, dass die Behörden "die öffentliche Konten ins Visier“ nehmen wollten, "über die Informationen in großem Umfang verbreitet und Anhänger mobilisiert werden können.“ Nach Angaben von "China Daily“ gibt es drei Millionen bei Tencent registrierte, sogenannte öffentliche WeChat-Konten, über die Nachrichten massenhaft verschickt werden können. Ausdrücklich warnen die Behörden, dass sie "mit Härte die Infiltration von WeChat durch feindliche Kräfte aus dem In- und Ausland bekämpfen werden.“
"Gewalt, Terrorismus und Pornografie"
Weiter steht in der Begründung: "Die Kampagne will diejenigen Personen gezielt treffen, die Gerüchte und Informationen verbreiten, die mit Gewalt, Terrorismus und Pornografie zu tun haben. Ebenfalls zielt sie auf alle, die Wechat zu Wirtschaftsbetrug oder Schwarzmarkt-Geschäften nutzen“.
Einen Tag vor Ankündigung der amtlichen Kontroll-Kampagne des Internet hatte sich Chinas Regierung in ihrem neu veröffentlichten Menschenrechtsbericht 2013 für die "dramatische“ Ausweitung des Raumes für Redefreiheit in China dank des Internets“ gefeiert. Peking sieht darin keinen Widerspruch: Wörtlich heißt es: "Im Rahmen, den Chinas Verfassung und andere Gesetze des Landes erlauben, kann die Öffentlichkeit frei über politische Themen diskutieren.“ (Johnny Erling aus Peking, derStandard.at, 29.5.2014)