Mark Russinovich wurde vom größten Kritiker von Microsoft zu einem Gestalter, der an der Zukunft des Konzerns mitarbeitet.

Foto: Microsoft

Mit dem Reverse-Engineering von Windows, dem Aufdecken von Fehlern und fragwürdigem Marktgebahren zog sich Mark Russinovich in den vergangenen Jahrzehnten mehr als nur einmal den Zorn von Microsoft zu. Doch heute ist der einstige Kritiker ein Angestellter des Redmonder IT-Riesen und arbeitet im Azure Cloud-Team an der Zukunft des Konzerns, wie Wired zusammenfasst.

"Er ist wirklich visionär und weiß, wie man auf Kunden hört", beschreibt ihn Bill Hilf, Chef des Cloud-Geschäfts bei Hewlett Packard. Er hatte einst Seite an Seite mit Russinovich bei Microsoft gearbeitet.

Winternals

Russinovichs Laufbahn drehte sich von Beginn an um Computer-Technologie und Software. Seinen Master-Abschluss holte er am Rensselaer Polytechnic Institute, seinen PhD an der Carnegie Mellon University ehe er sein Postdoktorat an der University of Oregon absolvierte. Er beschäftigte sich im Detail mit Unix, eher er damit begann, sich mit Windows zu befassen.

Schon an der Uni betrieb er gemeinsam mit einem Kollegen namens Bryce Coswell die Erforschung des Microsoft-Systems und beschäftigte sich unter anderem mit Abstürzen im damals vorherrschenden Windows 3.1. Später setzten die beiden ihre Zusammenarbeit mit dem Projekt "Winternals" fort und entwickelten Werkzeuge und Methoden, um Windows NT und andere Microsoft-Software auseinanderzunehmen.

Die NT-Mogelpackung

Durch das Reverse-Engineering des Betriebssystems konnte er nicht nur Fehlerquellen aufspüren, sondern deckte auch hinterfragenswerte Geschäftspraktiken von Microsoft auf. Das Unternehmen bot Windows NT für Unternehmen in einer Workstation-Ausgabe an und – für die Ausführung von Webapplikationen – in wesentlich teurerer Form auch in einer NT-Server-Edition. Die "normale" Edition, so argumentierte Microsoft damals, wäre zu selbigem technisch gar nicht in der Lage.

Doch Russinovich konnte nachweisen, dass auch die nicht spezialisierte Version von Windows NT Websoftware ausführen konnte und die Plattform lediglich künstlich von Microsoft limitiert worden war. Zum Unmut des damals die Computerwelt weitgehend beherrschenden Konzerns veröffentlichte er schließlich ein Tool, mit dem jeder sein Windows NT in die Server-Edition transformieren konnte.

Einige Tage später flogen Mitarbeiter von Russinovichs damaliger beruflicher Heimat Sysinternals zu einem Microsoft-Event. Der Software-Gigant reagierte dort auf die Aufdeckungen von Russinovich in damals gewohnter Manier und verbot ihnen, das Gebäude zu betreten. Gleichzeitig allerdings bot der damalige Windows-Chef Jim Allchin Russinovich einen Job an, den dieser jedoch ausschlug.

Sony-Rootkits

Im Laufe der Zeit brachte Russinovich aber nicht nur Microsoft ins Schwitzen. 1995 deckte er auf, dass eine Software namens SoftRAM entgegen ihrer Versprechungen keine Vergrößerung des nutzbaren Arbeitsspeichers erwirkte, was dem Hersteller Syncronys eine Klage der Technischen Aufsichtsbehörde FTC einbrockte. 2005 enthüllte er, dass ein von Sony genutztes Kopierschutzsystem praktisch ein Rootkit auf den Rechnern der Nutzer installierte. Das zog eine Untersuchung der US-Regierung und teure Klagen gegen den Hersteller nach sich.

Zu dieser Zeit erhielt Russinovich sein zweites Arbeitsangebot von Microsoft. Dieses nahm er an und brachte das Unternehmen gleichzeitig dazu, Sysinternals zu übernehmen und weiter zu arbeiten lassen, wie bisher. Russinovich selbst widmete sich zuerst dem Kern neuer Microsoft-Betriebssysteme wie Vista und Windows 7.

Öffnung von Azure

Nach vier Jahren wechselte er zu Azure. Microsofts Cloud-Abteilung kam damals kaum vom Fleck. Unter seiner Ägide und der Leitung des jetzigen Konzernchefs Satya Nadella öffnete sich die Plattform. Statt Nutzer ausschließlich an Microsoft-Lösungen zu binden, können Nutzer heute frei wählen, welche Software ausgeführt wird – das von Microsoft lange bekämpfte Linux inklusive.

Russinovich kümmert sich nun um die Verschmelzung von Platform-as-a-Service mit der Infrastruktur und trotz harscher Konkurrenz von Amazon, Google und Co. zeigt das Wachstum, dass das Konzept aufgeht. Die Entwicklung von Azure liefert gleichzeitig auch Zeugnis über das Umdenken, dass derzeit beim einst schwerfälligen IT-Riesen stattfindet.

Vertrauensfrage

Für den Softwareexperten ist die Herausforderung groß. Im Zuge der von Snowden aufgedeckten Überwachungsaffären wird Vertrauen zu einem essentiellen Erfolgsfaktor für das Cloud-Business. Eine Aufgabe, der er sich mit der Überarbeitung der Online-Sicherheitsmechanismen stellte – auch Microsoft verschlüsselt mittlerweile Daten, die zwischen den eigenen Rechenzentren hin und her wandern.

"Ohne Vertrauen gibt es keine Cloud", sagt Russinovich. "Und Vertrauen kann man schnell verwirken." (red, derStandard.at, 28.05.2014)