US-Songwriterin Sharon Van Etten (33) hat im Genre der sensiblen jungen Songschreiberinnen die härtesten Texte zu bieten: "Your Love Is Killing Me".

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Wien - Am Schluss US-amerikanischer Krankenhausserien wie Dr. House oder Grey's Anatomy, kurz bevor die Geheilten entlassen und über die Toten die Decken gezogen werden, werden gern sensible Lieder von feinfühligen jungen Frauen zur Abspielung gebracht. Sie sollen den vorherigen Tragödien zwischen OP, Behandlungszimmer und gern auch Ruheraum und Abstellkammer zusätzliches emotionales Feuer geben. Zumindest in Grey's Anatomy war Sharon Van Etten so mit einem Song vertreten.

Gute alte und weltweit ständig nachgefragte Groschenheftromantik der Drehbücher trifft in diesen Serien auf professionell abgefilmten medizinischen Humbug und verschachtelte Drehbücher. Dazwischen steigen die Protagonisten gern melancholisch blickend in Fahrstühle oder verlassen das Krankenhausgebäude um drei Uhr nachts kurz, um ihre Beziehungen zu retten oder eine Szene lang zu schlafen. Das alles ist bekannt und hat sich tief und nachhaltig in die DNA der Fernsehwelt eingebrannt.

Die dazugereichten Klagegesänge über Sehnsucht, Einsamkeit, Verzweiflung oder den Willen zum Durchhalten dienen dabei nicht etwa der Dramatisierung von massiven Problemen des US-Gesundheitssystems. Immerhin wird in den Serien jedem Patienten die Chance auf Heilung gewährt, jede noch so teure Operation durchgeführt, obwohl die Realität ganze Bände füllend anderes besagt, nämlich, dass arme Leute eher sterben als reiche.

Weihnachten 2009 etwa starb der seit einem Verkehrsunfall im Rollstuhl sitzende US-Songwriter Vic Chesnutt an den Folgen eines Selbstmordversuchs. Er konnte 50.000 bereits angehäufte Dollar Behandlungskosten nicht aufbringen, eine für ihn lebenswichtige weitere Operation war finanziell schlichtweg unmöglich. Fairerweise muss man aber anmerken, dass die selbstzerfleischenden Songs Chesnutts für Fernsehserien im Hauptabendprogramm zu hart gewesen wären, obwohl sie schönes Geld gebracht hätten.

Die 33-jährige Songschreiberin Sharon Van Etten kommt da jetzt ein wenig unschuldig dazu. Immerhin handelt es sich ja auch bei ihr nicht um eine der üblichen höheren Töchter im Genre zwischen Folk und Indierock. In dieses Genre mit seinem stillen, hübschen Leid hat man sich an den Lagerfeuern von Brooklyn, New York, ja während der letzten Jahre gern zurückgezogen.

Seit ihrem Debüt Because I Was In Love von 2009 steht Sharon Van Etten im Gegensatz zur ins Kraut schießenden Kolleginnenschaft zwischen unterschiedlichen Schmerzansätzen wie jenen von Cat Power, Chelsea Wolfe, Julia Holter. Lykke Li, Lorde, Tara Jane O'Neil, Marissa Nadler und, und, und nicht nur für ausgefeilte gesangliche Arrangements, sondern auch tatsächlich für biografisch erlebte Intensität. Ganze vier Alben stehen mittlerweile für die Aufarbeitung einer traumatischen Beziehung mit einem gewalttätigen Musikerkollegen, der die in New Jersey geborene Pianistin und Gitarristin jahrelang tyrannisiert hatte.

Das neue Album Are We There (Jagjaguwar Records) wird einerseits getragen von Van Ettens schneidendem Vibrato und Vokalsätzen. Andererseits ist es, in Eigenregie mit Band in New Jersey produziert, ruhiger als Teile der Vorgängerarbeiten geraten. Die Künstlerin vertraut auf ein getragenes mittleres Tempo, aber prachtvoll mollverhangene Arrangements für eine urbane Holzfällerband mit Matura, sehr viel Klavier, einige Bläsersätze. Bessere und abwechslungsreichere, klüger aufgebaute Songs als die Konkurrenz schreibt sie sowieso. Die Texte allerdings sind nicht für schwache Nerven gedacht.

Leiden gibt Trost

Break Me titelt ein Lied, ein anderes Nothing Will Change, Your Love Is Killing Me ein drittes. Trauma, Leid, Depression. Im Zentrum des neuen Albums steht der Tränendrüsendrücker I Love You But I'm Lost. In ihm heißt es: "Break my legs so I won't walk to you/ Cut my tongue so I can' t talk to you/ Burn my skin so I can't feel you/ Stab my eyes so I can't see you."

Was immer uns Sharon Van Etten außer einem Gefühl der Vergeblichkeit vermitteln will: Die Welt der Krankenhausserien wird diese Musik dankbar empfangen. Leiden gibt ja auch Trost, wenn alles so bleibt, wie es ist - solange Geld für den Arzt und die Fernsehgebühren da ist. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 28.5.2014)