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Marine Le Pen verkaufe sich als frisch und unverbraucht, bediene aber althergebrachte Ressentiments, sagt Rechtsextremismus-Experte Martin Langebach (der lieber nicht mit Foto gezeigt werden will, um künftige Undercover-Recherchen nicht zu gefährden).

Foto: reuters/christian hartmann

Der Erfolg der Rechtsparteien in Frankreich, Großbritannien, aber auch in Österreich sei nicht nur Ausdruck von Euroskepsis, sondern auch von Ressentiments, sagt der deutsche Rechtsextremismus-Forscher Martin Langebach. Die etablierten Parteien sollten sich nun auf die Inhalte der Rechtsparteien einlassen, ohne sie nachzuahmen. Warum das so schwer ist und wie Heinz-Christian Strache seine Positionen verschleiert, erklärt Langebach im Gespräch mit Maria Sterkl.

derStandard.at: Würden Sie nach der EU-Wahl von einem Rechtsruck im Europäischen Parlament sprechen?

Martin Langebach: Es war ein partieller Rechtsruck. Überraschend war das Abrutschen von Geert Wilders in den Niederlanden und das schlechte Ergebnis von Jobbik in Ungarn; dann haben wir aber einige Länder, wo Rechtsparteien enorme Zuwächse haben – Frankreich, England, Dänemark, Irland und Österreich.

derStandard.at: Was macht Marine Le Pens Erfolg in Frankreich aus?

Langebach: In Frankreich spielt nationale Politik eine große Rolle, das Abstrafen von François Hollande und die Streitereien bei den Konservativen. Dann tritt Marine Le Pen als dritte Figur auf die Bühne, die eine Lösung für alles zu haben vorgibt und durch die Ablösung vom Vater nicht mehr mit diesem rechtsextremen Gestus auftritt. Sie schöpft ihre Kraft aus der Schwäche der anderen.

derStandard.at: Es ging also weniger um Le Pens Inhalte als um Protest gegen Hollande?

Langebach: Es ist immer eine Kombination aus beidem – sonst hätten die Franzosen auch eine kommunistische Partei wählen können. Ob bei den Inhalten die Ablehnung der EU oder die Ablehnung von Zuwanderung im Vordergrund steht, ist individuell unterschiedlich. Jedenfalls hat es Le Pen geschafft, sich als die Frische, Unverbrauchte im Vergleich zu den anderen zu verkaufen.

derStandard.at: Was heißt das für die anderen Parteien?

Langebach: Es heißt vor allem, dass sie sich ernsthaft mit gewissen Themen auseinandersetzen müssen – auch mit dem Thema Einwanderung. Es gibt Ressentiments, die kann man nicht vom Tisch wischen. Man muss sich mit ihnen auseinandersetzen, was nicht heißt, dass man ihnen folgen muss – es sind ja nicht 100 Prozent der Bevölkerung, die so denken. Aber man muss versuchen, argumentativ dagegenzuhalten.

derStandard.at: Wie lässt sich effektiv gegen rechts argumentieren?

Langebach: In der Diskussion mit Rechtspopulisten haben Sie oft das Problem, dass Sie erst einmal ein Thema gesetzt bekommen – und wenn Sie sich ernsthaft damit auseinandersetzen und darauf antworten, dann folgt sofort das Umschwenken auf ein anderes Thema. Das ist wie das Rennen von Hase und Igel. Die Rechten setzen Themen, die sie populär aufziehen zu können meinen, aber wenn man eine Antwort darauf hat, sind sie schon wieder beim nächsten Thema.

derStandard.at: Ist es überhaupt sinnvoll, sich auf eine Diskussion einzulassen, wenn die andere Seite ohnehin nicht an einer redlichen Auseinandersetzung interessiert ist?

Langebach: Ich glaube, man muss diese Debatte führen – die Wähler erwarten sich das. Aber die Gefahr, dass man permanent vorgeführt wird, besteht. Man muss Strategien entwickeln, wie man solche Menschen in die Diskussion einbindet. Bei Marine Le Pen kann ich mir das bedingt vorstellen, bei Farange in England wohl kaum – er lebt ja von Inszenierung, von kurzen Statements, er ist nicht diskussionsfähig.

derStandard.at: Und wie diskussionsreif schätzen Sie die FPÖ-Spitze ein?

Langebach: Mit Mölzer wäre es möglich gewesen, sich inhaltlich auseinanderzusetzen - das ist ja auch das Podium, das er sich wünscht. Aber bei Strache sehen wir, dass seine Reden immer sehr wohlwollend anfangen und sich im Lauf des Vortrags immer stärker einschränken. Politische Debatten setzen aber voraus, dass man von Anfang an mit einem klaren Standpunkt reingeht – und nicht mit einer Art „Fake-Agenda“.

derStandard.at: Sie meinen, Heinz-Christian Strache verschleiere seine Agenda?

Langebach: Zumindest hält er mit bestimmten Positionen hinter dem Berg – auf den ersten Blick wird nicht klar, was genau die Position ist. Man muss da sehr genau zuhören und mitdenken. Erst dann bekommt man mit, worum es eigentlich geht. Ein Beispiel: Er sagt anfangs, er habe nichts gegen Ausländer. Wenig später sagt er:  Ja, aber Einwanderung nur aus dem eigenen Kulturkreis. Und wieder etwas später: Es kann aber auch nicht sein, dass wir schlecht qualifizierte Arbeitnehmer einwandern lassen. Und danach: Aber auch die müssen sich anpassen. Und so weiter. Wenn Sie am Ende der Rede Bilanz ziehen, bleibt übrig: Bei uns sind nur ganz wenige willkommen.

derStandard.at: Warum war die Anti-EU-Partei in Großbritannien so erfolgreich?

Langebach: Die Frage "Bleiben wir in der EU?" ist in England viel stärker präsent als in allen anderen EU-Ländern. Bislang hat sich Premier Cameron immer mit Zugeständnissen zu retten versucht, aber der Vorteil der Ukip ist, dass sie so kompromisslos auftritt, dass sie für viele attraktiv ist. Cameron muss hingegen immer ein Stück weit herumlavieren, um alle Flügel in der Partei auszugleichen, er ist europakritisch, nicht europafeindlich. Er hat es schwer, weil  da jemand draußen steht, der immer sagt: „Das ist alles Schwachsinn, was ihr da macht, das geht viel besser.“ Da ziehen keine Argumente mehr – das ist reine Gefühlspolitik.

derStandard.at: Wie wird sich das starke Abschneiden der Rechten in Frankreich und Großbritannien auf die Arbeit im Parlament auswirken – etwa bei Menschenrechtsthemen?

Langebach: Das hängt davon ab, in welchen Ausschüssen sie wie vertreten sind. Im Abstimmungsverhalten werden sie mit ihren vermutlich weniger als 100 Abgeordneten von unterschiedlichen Parteien aus unterschiedlichen Ländern kein so großes Gewicht haben – aber wenn sie in einem Ausschuss sitzen, der beispielsweise über eine Überarbeitung der Schengenverträge debattiert, dann sieht das schon anders aus. Die entscheidende Frage ist, wer welche Fraktionen bildet. Wenn es eine große Fraktion gibt, haben sie viel mehr Einfluss – in puncto Redezeiten etwa. Ohne Fraktion sind sie weitgehend kaltgestellt.

derStandard.at: Welche Fraktionen sind realistisch?

Langebach: Ich glaube, dass es zu zwei Fraktionen kommen wird – eine um Le Pen, wo auch Geert Wilders und die FPÖ dabei sein könnten, und eine rund um die Ukip. Aber auch eine große Fraktion ist denkbar - wobei Ukip kategorisch ausgeschlossen hat, mit Le Pen zu kooperieren.

derStandard.at: Lässt sich das EU-Wahlergebnis auf kommende Wahlen in Frankreich und Großbritannien umlegen?

Langebach: Die Ukip hat bisher bei nationalen Wahlen weniger gut abgeschnitten als bei EU-Wahlen. Das muss man abwarten. In Frankreich ist es tatsächlich eine Frage des Zeitpunkts: Sollte es vorgezogene Neuwahlen geben, wäre das für die UMP und für Hollande politischer Selbstmord.

derStandard.at: Warum sind linke Parteien, die die EU nicht in Bausch und Bogen ablehnen, sondern Kritik an der Austeritätspolitik üben, weniger attraktiv als rechte Parteien, die ganz pauschal sagen: „Die EU ist schlecht“?

Langebach: Das habe ich mich auch schon gefragt. Ich kann es mir nur so erklären, dass es nicht originär um Sparpolitik und Europaskepsis geht, sondern andere Punkte dazukommen müssen – also eine restriktive Einwanderungspolitik. Eine zweite Erklärung wäre, dass es ein gewisses Grundmisstrauen gegenüber linken Parteien gibt – vor allem in den ehemaligen Ostblockstaaten.

derStandard.at: Zuwanderungs- und Minderheitenfeindlichkeit war also ein wichtiges Wahlmotiv?

Langebach: Ja. Sonst hätten beispielsweise die Dänen ja auch eine linke Partei wählen können, wenn Europaskepsis wirklich das einzige Momentum gewesen wäre.

derStandard.at: Die FPÖ hat bei Männern viel mehr Zustimmung als bei Frauen. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Langebach: Es ist europaweit bei Rechtsparteien der Fall, dass sie eher von jungen Männern gewählt werden. Die FPÖ transportiert eher ein traditionelles Männerbild, das kommt bei jungen Männern besser an als bei Frauen.

derStandard.at: Wie erklären Sie sich, dass die Rechtsparteien in den Niederlanden und Ungarn unter den Erwartungen abschnitten?

Langebach: Das Auftreten Geert Wilders‘ ist in letzter Zeit als zu radikal wahrgenommen worden. Das liegt auch daran, dass er sich mit Marine Le Pen verständigt hat,  eine Fraktion zu bilden – vor zwei Jahren wäre das für Wilders noch undenkbar gewesen. Der Front National gilt als rechtsradikale Partei. Wilders‘ Partei hat sich in den Medien aber immer als demokratisch, westlich orientiert und proisraelisch präsentiert. Was Ungarn betrifft, mutmaße ich, dass die Wähler glauben, auf Europaebene mit Fidesz besser bedient zu sein. Jobbik sagt ja, sie wollen sang- und klanglos aus der EU raus. Orbán ist europaskeptisch im Sinne von Cameron, hält aber trotzdem für das Land wichtige Kontakte zur EU. Es war wohl vielen Wählern klar, dass es negative Folgen haben wird, wenn man aus der EU austritt.  Am Wahlkampf von Jobbik kann es nicht liegen - den haben sie nicht viel schlechter hingekriegt als bei der Parlamentswahl vor sieben Wochen. (Maria Sterkl, derStandard.at, 27.5.2014)