Bei der Europawahl dem Brüsseler Projekt den Stinkefinger zeigen - das sei ja "quasi kostenfrei". Ukip-Chef Nigel Farage hat das gesagt, und der smarte Politikprofi mit dem sorgsam gepflegten Image des politischen Außenseiters weiß, wovon er redet. Kaum mehr als ein Drittel der Wahlberechtigten hat sich am Donnerstag an die Urnen bemüht. Der Einfluss Europas beschäftigt die Briten deutlich weniger stark, als Farage suggerieren will.
Wenn es um Westminster, um die Regierung, um Schulen, Gesundheitsversorgung und Sozialreformen geht, werden viele Denkzettel-Wähler genauer nachdenken. Ukip kann sich über hohe Publizität und mehr Geld freuen. Die bisher als Ein-Mann-Show auftretende Partei muss aber rasch glaubwürdige Personen und Programme finden, um der neugewonnenen Aufmerksamkeit gewachsen zu sein.
Premier David Cameron steht nun unter hohem Druck. Vermeintliche Zugeständnisse an Brüssel würden die EU-Feinde innerhalb und außerhalb seiner konservativen Partei als Verrat denunzieren. Wie weit Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und der Rest der Eurozone seinerseits dem Briten entgegenkommen, wird Camerons Schicksal mit entscheiden. Dabei sollte Augenmaß und Realismus walten. Einen "Brexit" (britischer EU-Exit) herauszufordern, das wäre kurzsichtig und dumm. Europa sollte Großbritannien glaubwürdig vermitteln: Wir wollen euch gern im Club behalten - aber nicht um jeden Preis. (Sebastian Borger, DER STANDARD, 27.5.2014)