Alles Herumdeuten und Kleinreden ist sinnlos: Der enorme Erfolg der Rechtsextremen in Frankreich, der rechten Anti-EU-Populisten in Großbritannien wie auch der Linkspopulisten in Griechenland bei den Europawahlen kommt einem Erdbeben für die europäische Integrationspolitik gleich. Das kann nicht ohne Folgen bleiben.
Dennoch gab es schon am Tag danach aus den etablierten Volksparteien die ersten Versuche, so zu tun, als könne man einfach so weitermachen wie bisher. Man solle diese Parteien und extremen Einzelkämpfer nicht allzu wichtig nehmen, denn sie seien sehr inhomogen. Die einen wollten den Euro abschaffen, die anderen seien nur für eine andere Einwanderungspolitik, die Dritten seien einfach Nationalisten, versuchte selbst Jean-Claude Juncker, der Favorit für den Posten des künftigen EU-Kommissionspräsidenten, den Dingen seinen eigenen Spin zu geben. Denn gut zwei Drittel der Europäer stünden nach wie vor fest zum eingeschlagenen Kurs.
Das ist im Prinzip schon richtig. Man könnte dem auch noch hinzufügen, dass die Erfolge der Radikalen auch ländermäßig in ganz Europa sehr ungleich verteilt sind. Rechtsextreme, die eine klar ausländerfeindliche Politik anstreben (oder, wie die FPÖ das kaschiert: eine inländerfreundliche) waren vor allem in Frankreich, Dänemark, Österreich und Finnland auffällig; nicht zu vergessen die Jobbik in Ungarn mit ihren antisemitischen Tönen. Es stimmt auch, dass der Einfluss der Rechts- und Linkspopulisten im Europäischen Parlament sich auch in Zukunft eher in Grenzen halten wird, weil sie zwar auf gut 15 Prozent der Mandate kommen, aber in sich zersplittert bleiben werden, auf Abstimmungen und Gesetzesvorlagen wenig Einfluss haben.
Aber das ist kein Trost. Ihr Einfluss und ihr Gift, das sie in die Union einbringen, entfaltet auf eine ganz andere Weise ihre gefährliche Wirkung - über den Umweg der Nationalstaaten bzw. deren Regierungen. Solange es so ist, dass Traditionsparteien wie die britischen Tories mit Premierminister David Cameron oder - weit gemäßigter - eine Landesregierung wie die bayerische unter Ministerpräsident Horst Seehofer mit den Radikalen darum wetteifern, wer sich EU-skeptischer gebärdet, wird der Zulauf nach rechts (und weniger nach linksextrem) anhalten. Es gibt nur eine Möglichkeit aus diesem Teufelkreis ins Negative herauszukommen.
Alle gemäßigten Parteien, die es gut meinen mit dem gemeinsamen Projekt, der europäischen Einigung müssen sich in den kommenden Jahren viel stärker darauf konzentrieren, die Demokratie, die Bürgernähe auch auf der komplizierten europäischen Ebene zu stärken. Es reicht einfach nicht, den Bürgern immer nur zu sagen, dass alles so kompliziert, die wirtschaftlichen und sozialen Probleme schier unlösbar sind. Europäische Politik muss, im wahrsten Sinn des Wortes, raus zu den Menschen in dieser großen Union.
Dazu gehört, dass die Parteien in Straßburg und die Regierungschefs im Rat dafür sorgen, dass die neue EU-Kommission auf transparente demokratische Weise gebildet wird. Keine Tricks. Der Wahlgewinner und Kandidat für die EU-Spitze, Juncker, muss für alle sichtbar seine Vorschläge präsentieren können. Scheitert er, soll der Zweitplatzierte, Martin Schulz, seine Chance bekommen. Aber es wäre fatal, wenn auf riesigen Unwillen des Volkes neue Hinterzimmerdeals folgen. (Thomas Mayer, DER STANDARD, 27.5.2014)