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"Für jemanden, der vorher null gemacht hat, bewirken auch 20 Minuten etwas", sagt Sportmediziner Niebauer.

dpa/Frank Leonhardt

Gurte an Oberschenkeln, Oberarmen, dem Gesäß, dazu eine knallenge Weste, die wie ein Korsett um den Oberkörper gezurrt wird. All das miteinander verkabelt und an ein Gerät angeschlossen.

Das ist die Standardausrüstung bei EMS. Die Abkürzung steht für Elektromyostimulation. Das Prinzip: Die Muskeln werden mit Reizstrom von außen stimuliert und kontrahieren sich dadurch - und wachsen. In Wien gibt es immer mehr Studios, die das Training anbieten. Ihr Versprechen: 20 Minuten pro Woche reichen für einen gestählten Körper.

Verwendung seit Jahrzehnten

Das Training im Kabelsalat sieht zwar gefährlich aus, ist laut Josef Niebauer, Vorstand des Salzburger Universitätsinstituts für präventive und rehabilitative Sportmedizin, aber unbedenklich: Die Technik wird im Spitzensport seit den 1970er-Jahren verwendet - damals allerdings noch mit selbst gebauten Geräten. Auch in der Reha wird die Technik bei der Mobilmachung von Patienten seit Jahrzehnten verwendet, erzählt der Sportmediziner: "Und wenn es bei einem Kranken wirkt, warum soll es bei einem Gesunden nicht funktionieren?"

Im Studio ist es gleich so weit."Bitte die Grundposition einnehmen", sagt der Trainer und macht es vor: Er geht in die Hocke, verschränkt seine Hände ineinander, spannt seine Muskeln an. Denn dann, so erklärt er, wäre es weniger unangenehm. Am Bildschirm erscheint nun eine Art Countdown. Dann geht es los. Während die Stromstöße mit ein paar Sekunden Unterbrechung durch den Körper rasen, müssen Übungen wie Kniebeugen absolviert werden. Was normalerweise einfach ist, wird unter Strom zur Herausforderung. Weh tut es aber eigentlich nicht. Der Schweiß rinnt nach zwei Minuten aber in Strömen. Fällt eine Übung zu leicht, schraubt der Trainer die Intensität des Stroms weiter nach oben.

Dreimal Training pro Woche

Zahlreiche Studien belegen: Grundsätzlich hilft EMS beim Muskelaufbau. "Aber wer diesen Erfolg haben will, muss es auch so machen wie in den Studien", schränkt Niebauer ein. Das bedeutet: Dreimal pro Woche trainieren. Oft kommen die Probanden aus dem Leistungssport.

Doch selbst ein Training, das nur einmal die Woche stattfindet, sei schon ein wichtiger Schritt für Menschen, die den ganzen Tag im Büro sitzen: "Für jemanden, der vorher null gemacht hat, bewirken auch 20 Minuten etwas. Hauptsache, die Leute machen irgendetwas und nutzen das als eine Art Einstiegsdroge zu mehr Sport und Bewegung." Durch regelmäßiges Training würde sich auch das Körperbewusstsein bessern - manche krempeln die Ernährung um und nehmen dadurch ab, berichtet Niebauer.

Kein Gewichtsverlust

Eine Gewichtsabnahme durch EMS-Training allein ist laut Niebauer nämlich nicht möglich: "Das widerspricht sich. Muskeln sind schwerer als Fett. Wer also mehr Muskeln aufbaut, wird auch mehr auf die Waage bringen." Beim Training selbst würden zu wenige Kalorien für einen Gewichtsverlust verbrannt. Auch das Herz-Kreislauf-System wird beim EMS-Training kaum trainiert. Aber: "Je mehr ich die Muskeln trainiere, desto weniger beanspruche ich mein Herz-Kreislauf-System bei einer Belastung", erklärt Niebauer. Tätigkeiten wie Stiegensteigen fallen also leichter - obwohl man die Ausdauer eigentlich nicht trainiert hat.

"Es ist natürlich ein sehr einseitiges Training", räumt Niebauer ein. Wenn das Training rein statisch ist, also keine begleitenden Übungen gemacht werden, zuckt bloß der Muskel, während sich das Gelenk gar nicht bewegt. Auch die wichtige Koordination und somit das Einsetzen der Muskulatur in Alltags- oder Trainingssituationen wird nicht geübt.

Epileptikern und Menschen mit Herzschrittmachern rät Niebauer vom Training mit Reizstrom grundsätzlich ab. Allen Anfängern empfiehlt er, sich mit ihrem Arzt zu beraten. Wie sich regelmäßige Stromstöße auf lange Sicht auf den Körper ausrichten, dazu gibt es laut Niebauer keine Studien. Ein Restrisiko gebe es aber immer: "Wenn das von der Energie her, die auf die Muskeln losgelassen wird, richtig dosiert wird, kann eigentlich nichts passieren."

Vier Tage Krankenhaus nach EMS

Was aber passieren kann, wenn das Training falsch durchgeführt wird, beweist der Fall einer sportlichen 26-jährigen Oberösterreicherin, die vergangenen August ein Probetraining absolvierte: "Ich spürte den Strom schon stark, wusste aber nicht, wie es sich anfühlen sollte", erinnert sich die junge Frau, die anonym bleiben will. Später kam erst mal der normale Muskelkater: "Extreme Schmerzen im Rücken in den Armen, Beinen, Po, einfach überall", erzählt sie.

Zwei Tage später wurde ihr im Rahmen einer Gesundenuntersuchung Blut abgenommen und ein stark erhöhter Kreatinkinase-Wert festgestellt. Kreatinkinase ist ein Enzym, das im Muskelgewebe vorkommt - werden Muskeln zerstört, gelangt das Enzym in das Blut. Wenige Tage später hatte sich der Wert noch einmal verfünffacht, es fand ein extremer Muskelzerfall statt. Auch ihre Nierenwerte waren zu dem Zeitpunkt angestiegen. Sie lag vier Tage im Krankenhaus.

Dass ihre Beschwerden vom EMS-Training kommen, steht für die junge Frau außer Frage. "Der Zusammenhang ist offensichtlich", sagt auch Niebauer, als er von ihrem Fall hört. Er spricht aber von einem extremen Einzelfall: "Die Dosis macht das Gift." (Franziska Zoidl, derStandard.at, 30.5.2014)