Die deutsche Autorin Ulrike Draesner hat mit ihrem Roman Sieben Sprünge vom Rand der Welt (Luchterhand 2014) eine bemerkenswerte Neuerscheinung vorgelegt. Mithilfe der Stimmen von vier Generationen einer Familie blättert sie ein zeitgeschichtliches Europapanorama von den beiden Weltkriegen bis zur Gegenwart auf. Sie erzählt von Vertreibung, Flucht und Elend und darüber wie derart durchlittene Katastrophen in späteren Generationen nachwirken.

Eine der Hauptfiguren ist der "zweiundachtzigdreiviertel Jahre" alte Eustachius Grolmann, wobei er auf das Dreivierteljahr großen Wert legt. Grolmann ist anerkannter Wissenschafter, mit Verdiensten um die Hirn- und Affenforschung hat er sich einen Namen gemacht.

Seine Affenliebe nimmt zuweilen jedoch bizarre Züge an. In seinem Garten hat er ein Dschungelcamp errichtet und hält dort illegal zwei Tiere, was ihm wiederum, nach einer Anzeige, den Auftritt bei einer Fernsehtalkshow verschafft. Neben all diesen Absonderlichkeiten ist Eustachius Grolmann vor allem aber eines: ein Gezeichneter. Als Kind musste er mit seiner Mutter und seinem behinderten Bruder im letzten Kriegswinter von Schlesien gegen Westen fliehen. Der Bruder überlebte den Gewaltmarsch bei Eiseskälte nicht.

Die Bilder dieses Schreckens quälen Eustachius bis heute. Dagegen erscheinen ihm die Probleme seiner Tochter Simone geradezu nichtig, und er bringt kaum Verständnis für sie auf. So muss Simone, mittlerweile 52 Jahre alt und selbst Affenforscherin, mit ihren Neurosen allein fertig werden. Sie hat quälende Angst vor Schnee.

Die 1962 in München geborene Ulrike Draesner lebt in Berlin und zählt mittlerweile zu den profiliertesten deutschsprachigen Autorinnen. Für ihre Lyrik und ihre Romane wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Am Dienstag liest sie im Literaturhaus am Inn in Innsbruck. (dns, DER STANDARD, 27.5.2014)