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Gute Unterhaltung: Nadja Robiné als "Mutti" Merkel und Michael Guardian als ihr Vize Sigmar (Gabriel).

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Die Deutschen und ihre Kanzlerin - das ist so eine Geschichte für sich. Jetzt ist sie auch noch eine Komödienheldin. Die Frau aus dem Osten, der von ihrem Amtsvorgänger Gerhard Schröder am Abend ihres ersten Wahlsieges noch bescheinigt wurde, dass sie es nicht kann, kann es offenbar doch. Zumindest in den Augen der Europäer, die ihr Krisenmanagement höher schätzen als verbalen Radau. Auch bei einer Mehrheit der deutschen Wähler ist das so. Da hat es Autorin Juli Zeh nicht leicht, sich mit ungebremstem Selbstbewusstsein und offenen Briefen als intellektuelle Herausforderin der Kanzlerin zu gerieren.

Angela Merkel regiert mit einer unnachahmlichen Melange aus präsidialem Habitus, demonstrativer Vorliebe der Wissenschafterin für das Faktische und ausgeprägtem Machtinstinkt. Die Pointe, die Juli Zeh und Charlotte Roos in ihrer Kanzlerinnen-Komödie Mutti am Ende einer nachgespielten Familienaufstellung bereithalten, werden die Genossen aber wohl nicht lustig finden. Im Gegensatz zum Publikum.

Da hat es "Mutti", wie Merkel so despektierlich wie anerkennend genannt wird, nämlich geschafft, Sigmar von der SPD als Vizekanzler so eiskalt abzuservieren, wie die reale Frau Merkel alle ernsthaften Konkurrenten in ihrer CDU. Genau dieser Sigmar (Gabriel) hatte auf dem Therapietermin bestanden. Also finden sich Angela, Horst (Seehofer, CSU), Ulla (von der Leyen) und er beim Therapeuten und Politikberater Hellmann ein. Ausgerechnet am Tag des Endspiels der Fußball-WM zwischen Deutschland und Spanien (es ist ja eine Komödie).

Ob nun die wunderbare Nadja Robiné als ruhende und nur beim Fußball aus der Reserve zu lockende Angela, Sebastian Kowski als Horst mit bajuwarischer Wurstigkeit, Anna Windmüller als dauergrinsende Ursula oder Michael Wächter als Sigmar:Man sieht gerne zu, wie Stephan Grossmann als Coach das Quartett aufeinander loszulassen versucht. Die Kanzlerin wäre lieber in Rio, gibt aber wegen des Koalitionsfriedens klein bei. Natürlich hält sie Kontakt zum Bundestrainer Jogi Löw. Und kalkuliert sie mit einem deutschen Sieg im Finale, weil sich so die bevorstehende Griechenlandpleite und der Euroabsturz etwas besser verkaufen lassen.

Entlarvungsattacke

Mitten in die Therapiesitzung - und bis nach Rio - dringen Nachrichten von der blutigen Niederschlagung einer Revolte der Arbeiter, die in Katar an neuen WM-Stadien bauen (u. a. mit bayerischen Firmen!). Angela macht genau das, was von ihr (zuletzt von Juli Zeh in der Wochenzeitung Die Zeit und im Stück von Sigmar) gefordert wird: Sie greift entschlossen ein und verlangt vom Trainer den Sieg. Ihren Vize lässt sie via TV den Abbruch des Spiels verkünden, um im selben Moment auf dem Weiterspielen zu bestehen. Deutschland gewinnt. Die Kanzlerin siegt auf der ganzen Linie. Sigmar ist der Kollateralschaden. So endet die vermeintliche Entlarvungsattacke Juli Zehs in einer Geste ungewollter Bewunderung - also mit einem Eigentor der Autorin!

Von einer ideologiekritischen Sprachanalyse à la Elfriede Jelinek ist dieses harmlose Boulevardstückchen in etwa so weit entfernt wie Rio von Katar. Mutti hält es jedenfalls souverän aus, wenn Juli und Charlotte wegen fehlender Werte und Führungspathos quengeln, als wollten sie ein Eis am Stil. Dass Angela auf der Bühne Beifall kassiert, wenn sie angesichts der am Boden verkeilten anderen drei Sitzungsteilnehmer sagt: "Sie fragen sich jetzt nicht mehr, warum ich meine Entscheidungen am liebsten alleine treffe", müsste die Autorinnen stutzig machen. Zur Enthüllungskomödie hat es nicht gereicht. Höchstens zu einem amüsanten Abend, für den man die nächsten fünf Talkshows überspringen kann. (Joachim Lange aus Recklinghausen, DER STANDARD, 27.5.2014)