Wien - Der Schubs ist in. Menschen sind in Geldfragen oft gleichermaßen ratlos wie tatkräftig, wie Wirtschaftspsychologen und Nobelpreisträger wie Daniel Kahneman in Büchern und Studien immer wieder gezeigt haben. In Experimenten haben sie bewiesen, dass Menschen übertriebene Angst vor Verlusten haben, ihr eigenes Wissen überschätzen und damit immer wieder falsche, finanziell ruinöse Entscheidungen treffen. Und daraus haben sie geschlossen, dass viele Menschen einen Schubs brauchen ("Nudge"), um solch kostenspielige Fehler zu vermeiden. So sollen etwa spezielle Formulare zur betrieblichen Vorsorge in einigen US-Bundesstaaten von vornherein die Entscheidung beeinflussen.
Doch Gerd Gigerenzer schubst nicht gerne. Er findet die Schubserei "demokratiepolitisch bedenklich". Der 66-jährige Psychologe ist Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und hat jahrelang erforscht, wie Menschen Risiken einschätzen und mit ihnen umgehen - von der finanziellen Zukunftsvorsorge bis hin zu medizinischen Untersuchungen.
Bildungsinitiative gefordert
Gigerenzer setzt auf "risikokompetente Menschen", auf Bildungsinitiativen zur besseren Einschätzung von Gefahren. Denn viel zu sehr würden Menschen auf eine "Illusion der Sicherheit" setzen, statt sich mit den Risiken auseinanderzusetzen. Gleichzeitig müssten aber Experten und Politiker Risiken auch besser kommunizieren. "Viele Experten verstehen die Risiken nicht, oder sie verstehen nicht, wie man sie kommuniziert", kritisiert Gigerenzer im Standard-Gespräch anlässlich der Country-Risk-Conference, die vom Kreditversicherer Coface veranstaltet wurde.
Doch mithilfe einfacher Daumenregeln, auch Heuristiken genannt, ließen sich viele kostspielige Fehlentscheidungen in Finanzfragen vermeiden.
- Verständnis Die wichtigste Daumenregel ist für Gigerenzer: "Kaufe kein Wertpapier, das du nicht verstehst." Gigerenzer bezieht sich dazu auch in seinem neuen Buch Risk Savvy auf eine Studie bezüglich der Zukunftsvorsorge in Österreich. Dabei wurden zehn Bankberater gefragt, ob es sich bei der staatlichen Prämie von (damals noch) neun Prozent um einen Zinssatz handelt. In Wahrheit handelt es sich dabei um eine Prämie auf die Einzahlung in die Zukunftsvorsorge. Auf zehn Jahre gerechnet, entspricht die Prämie gerade einmal einer Rendite von 0,9 Prozent. Doch nur drei Bankberater haben das gewusst. Drei hatten einer möglichen Kundin die neun Prozent als Verzinsung schmackhaft gemacht, und die übrigen waren von der Frage überfordert.
"Hätte man sich auf beiden Seiten des Atlantiks an diese Heuristik gehalten, wäre die Finanzkrise nicht so gekommen", glaubt Gigerenzer. Hielten sich mehr Leute an diesen Rat und investierten nur in verständliche Wertpapiere, müssten auch Finanzdienstleister und Regulatoren nachbessern. Denn heute seien Infomaterial und Beipackzettel für Finanzprodukte "viel zu kompliziert. Fünf schwer verständliche Seiten dienen nicht der Information des Kunden, sondern der Absicherung der Unternehmen", kritisiert Gigerenzer.
- Vertrauen Doch auch das Verhältnis von Kunde zu Berater müsse sich grundlegend ändern. "Ein Bankberater kann über verschiedene Möglichkeiten der Beratung informieren, aber er hat Interessenkonflikte" , sagt Gigerenzer. Die Daumenregel lautet daher: kein blindes Vertrauen. "Otto Normalverbraucher kann sich seiner eigenen Verantwortung bei Entscheidungen nicht entledigen. Wenn man in der letzten Krise hereingelegt worden ist, aber sich nicht informiert hat, muss man auch eine gewisse Verantwortung eingestehen." Tatsächlich haben Studien, etwa in Italien, gezeigt, dass sich Menschen selbst für wichtige Finanzfragen kaum Zeit nehmen.
- Verteilen Eine einfache Daumenregel, die man leicht beachten könnte, ist die Streuung von Risiken. Statt nur einer Aktie lässt sich schnell über passive Indexfonds ein ganzes Bündel an Aktien kaufen. Die Gefahr, aufs falsche Pferd zu setzen, schrumpft damit dramatisch. "Diversifizieren ist ein wichtiges Prinzip, nicht alles in einen Topf zu stecken reduziert unnötige Risiken", mahnt Gigerenzer. Doch bei der Veranlagung kommt dann das nächste Problem. Bei dem großen Universum der Anlageklassen, von europäischen Aktien, über US-Unternehmen bis zu den Schwellenländern, dem Anleihensegment und Immobilien, wie lässt sich dabei die richtige Mischung finden? Die darf laut Gigerenzer auch sehr einfach sein. Er plädiert etwa bei der Veranlagung etwa in fünf verschiedene Anlageklassen von Aktien bis Immobilien dafür, in die einzelnen Bereiche einfach gleich viel zu investieren. In jede der fünf Kategorien ein Fünftel. Das sei einfacher und besser als komplexe Modelle.
- Vermeiden Kosten sollte man vermeiden. Das klingt nach einer Plattitüde, ist aber querfeldein das Ergebnis vieler Finanzstudien. Wenn hohe Handelskosten (viele Käufe und Verkäufe) oder hohe Managementgebühren (etwa für verwaltete Fonds) anfallen, dann sieht man als Sparer wenig von seinem Geld. "Für die Einschätzung der Kosten braucht es ein Grundverständnis", betont Gigerenzer. Denn Kostenfallen gibt es viele: laufende Gebühren, Bearbeitungskosten, Handelsgebühren, Rücknahmespesen.
Die Hilfe guter Geschichten
Gigerenzer plädiert für einen frühen, auch spielerischen Umgang mit dem Thema Geld. "Es ist ja nicht schwierig, Kindern den Umgang mit Geld beizubringen", sagt der Risikoforscher. Dabei müssen die Schulen die Lehrpläne ändern, statt der "Mathematik der Gewissheit", etwa der Trigonometrie, müsste stärker der Umgang mit Statistiken, mit Ungewissheit, vermittelt werden.
Am Ende sind für Gigerenzer alle gefordert. Kunden müssten mehr Willen zeigen, sich zu informieren. Banken und Finanzdienstleister müssten Informationen deutlich besser aufbereiten. "Gute Faustregeln und gute Analogien könnten helfen, dass die emotionalen Probleme bei Finanzfragen vermieden werden", sagt Gigerenzer und bringt einen Vergleich mit dem Fußball. Niemand käme auf die Idee, einem Freund böse zu sein, wenn er einen falschen Ratschlag zum Ausgang eines Fußballspiels abgegeben hat. Aber bei einem Bankberater, der beim Auf und Ab an den Finanzmärkten irrt, sind die Kunden enttäuscht. Dafür müssten aber alle die "Illusion der Sicherheit" hinter sich lassen. (Lukas Sustala, DER STANDARD, 23.5.2014)