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Sigrid Schmitz sieht wesentliche Defizite bei bildgebenden Verfahren.

Foto: apa/Jan-Peter Kasper

Grado - Seit Jahren versuchen HirnforscherInnen mittels bildgebender Verfahren Aussagen über spezifische Veranlagungen bei Menschen zu machen. Doch die Ergebnisse werden überschätzt, die Veränderlichkeit des Gehirns unterschätzt. Das erklärte die Wiener Gender-Forscherin Sigrid Schmitz am Sonntag bei der Eröffnung der Österreichischen Ärztetage in Grado (bis 31. Mai).

Frauen denken - angeblich - mehr "bilateral", also mit beiden Gehirnhälften. Bei Männern dominiert - angeblich - eine Gehirnhälfte. Bei sich sozial verhaltenden Menschen sind vermeintlich andere Gehirnregionen aktiver als bei "Egoisten", bei Aggressiven andere als bei "Sanftmütigen". Die Liste solcher Schlagzeilen, die regelmäßig aus den Neurowissenschaften bis in die Boulevardpresse schwappen, wird ständig länger.

Die "Wirkmacht der Bilder"

Dahinter steckt oft weniger objektiv an großen Probandenzahlen nachvollziehbare Fakten als vielmehr die "Wirkmacht der Bilder" modernster Verfahren, mit denen das Gehirn "live" und "online" vermessen und gescannt wird, so Sigrid Schmitz, Professorin für Gender Studies am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien, bei ihrem Eröffnungsvortrag bei der Fortbildungsveranstaltung der Österreichischen Ärztekammer.

Dafür sind vor allem zwei technische Verfahren verantwortlich: Mit der Positronen-Emissions-Tomografie (PET), lässt sich der Blutfluss, somit die Aktivierung, in Gehirnarealen darstellen. Das gleiche gilt für die Abbildung von Gehirnfunktionen mit der Magnetresonanz-Tomografie (fMR).

Doch es gibt dabei oft schwere methodische Mängel - nicht in der reinen Bildgebung, die immer genauer und feiner wird, sondern in Aufbau und Ablauf dieser Studien. "Man hat Unterschiede im Erlernen von Routen (anhand eine Stadtplans; Anm.) von Männern und Frauen untersucht. Das erfolgte an zwölf Männern und zwölf Frauen", sagte die Wissenschafterin.

Defizite der Studien

Das verwendete bildgebende Verfahren zeigte vermeintliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Doch es gibt schon im Ansatz wesentliche Defizite in solchen Studien: Die Probandenanzahl ist für generelle Aussagen für den Menschen einfach viel zu gering und statistisch nicht signifikant. Oft wären die Testpersonen aus Gründen der Einfachheit der Durchführung solcher Studien schlicht und einfach "Psychologiestudenten", aus deren Befunden dann Rückschlüsse auf die gesamte Menschheit gezogen würden. Zusätzlich stellen die HirnforscherInnen Unterschiede per Subtraktion der Bilder - also im Vergleich von zwei Probandengruppen - dar und erachten diese Differenzen per se als wichtig.

Was herauskommt, sei eine Datenreduktion. Man schaue nicht, welche Gehirnzentren wann mit einander verknüpft seien, was womöglich wichtiger wäre. Man blicke auch nicht darauf - zum Beispiel bei Gender-Studien -, welche Hirnareale bei bestimmten Aufgaben bei beiden Geschlechtern aktiviert seien, sondern registriere nur vermeintliche Unterschiede.

Keine biologische Determination

"Es gibt unzulässige Generalisierungen: 'die Frau', 'der Mann' etc.", betonte die Expertin. Bilder aus dem Gehirn seien "wichtig für die individuelle Diagnose und Therapie, zum Beispiel in der Neurochirurgie", aber: "Jedes Gehirn ist einzigartig und in ständiger Veränderung. Befunde zur Hirnstruktur oder zu Hirnfunktionen sind eine Momentaufnahme."

Man könne damit keine biologische Determination zu einem bestimmten Verhalten oder Verhaltensmuster nachweisen. Außerdem verändere sich das menschliche Gehirn permanent unter den an es herangetragenen Aufgaben und habe eine enorme Plastizität. Völlig erstaunt - so Sigrid Schmitz - waren NeurologInnen schon vor Jahren, als sie mit einer Magnetresonanzuntersuchung das Gehirn eines sonst unauffälligen 46-jährigen Mannes mit unklaren Schmerzzuständen untersuchten: Er hatte ausschließlich eine Gehirnrinde, fast keine "graue Masse". Bei ihm hatte die Gehirnrinde die Funktionen fehlenden Gewebes im Rahmen einer sich langsam ausbildenden und unbemerkt gebliebenen "Hydrocephalus"-Erkrankung übernommen. Das menschliche Gehirn kann wesentlich mehr als ihm der Mensch zutraut.

"Mosaik-Bild" von Gender-Charakteristika

Verführerisch sind die Aussagen der HirnforscherInnen aber trotzdem. So wurde vor einigen Jahren behauptet, dass es aus bildgebenden Verfahren Beweise gebe, dass Taxifahrer mit langjähriger Berufserfahrung mehr Verbindungsstellen zwischen Nervenzellen im Gehirn (Synapsen) hätten. Es könnte aber auch sein, dass solche Menschen eben häufiger Taxifahrer würden, meinte die Expertin kritisch an.

Solche Aussagen seien vereinfachend. Ganz besonders zeige sich das bei den Gender-Studien auf diesem Gebiet. Neueste Forschungen mit einem Vergleich von 116 Hirnbereichen bei jeweils über hundert Männern und Frauen hätten hingegen vielmehr eindeutige Hinweise auf ein "Mosaik-Bild" von Gender-Charakteristika geben. Die Gehirnaktivitäten von Männern wie Frauen seien ein individuell unterschiedliches Mixtum aus angeblich männlichen und angeblich weiblichen Merkmalen.

"Es wäre doch viel interessanter, die Vernetzungen zu zeigen. Warum suchen wir ständig den 'kleinen Unterschied'?", fragte die Wiener Wissenschafterin. So können die modernen bildgebenden Verfahren ad hoc Zustandsbilder aus dem lebenden Menschen erzeugen. Im Endeffekt aber scheint man dabei aber oft ähnlich beschränkt zu verfahren, wie die Pathologen früherer Zeiten, die aus dem Aussehen von Gehirnschnitten Verstorbener Rückschlüsse auf deren Verhalten zu Lebzeiten ziehen wollten. (APA, 26.5.2014)