Wien - Wenn der 17-jährige David Bauer von seiner Familie in Serbien erzählt, bekommt man eine Ahnung davon, wie drastisch das Hochwasser auf dem Balkan das Leben vieler Betroffener verändert hat: Der Bauernhof der Familie ist bis dato von allen Verkehrswegen abgeschnitten, die Überschwemmungen haben die gesamte Ernte plus Nutztiere mit sich gerissen. Der einzige Kontakt in die Außenwelt führt über das Handy - da jedoch die Stromversorgung ebenfalls zusammengebrochen ist, müssen die Verwandten stets zu den Aggregaten fahren, um die Akkus aufzuladen.
Der 17-Jährige ist nur einer unter zahlreichen Schülern in Österreich, deren Familien direkt von den Flutkatastrophen betroffen sind. Ihn freue es, wie viele Leute sich durch Spenden solidarisch zeigen, auch dass viele Freiwillige Feuerwehrleute aus Österreich in die überschwemmten Gebiete gefahren sind.
Von der serbischen Regierung zeigt er sich jedoch enttäuscht: "Man hätte die Leute viel früher retten können. Der Bürgermeister von Belgrad hat gesagt, die Leute sollen zu Hause bleiben, und daran sind auch die meisten gestorben."
1,6 Millionen Menschen betroffen
Bislang sind knapp 60 Menschen in den Hochwassergebieten umgekommen, wesentlich mehr werden immer noch vermisst. Längst wird die Flutkatastrophe auf dem Balkan als das schlimmste Ereignis seit dem Jugoslawienkrieg 1992 bezeichnet. Zeitweise stand ein Gebiet von der Größe Sloweniens unter Wasser, rund 1,6 Millionen Menschen sind vom Hochwasser betroffen. Der finanzielle Schaden beläuft sich auf rund eine Milliarde Euro, besonders der landwirtschaftliche Sektor wurde stark zerstört.
In Medien wird immer wieder darüber berichtet, wie das gemeinsam erlittene Schicksal die Leute aus der Region länderübergreifend zusammenschweißt. Von einem neuen jugoslawischen Zusammenhalt wird gar gesprochen; einer Einigkeit, wie es sie seit dem Krieg nicht mehr gegeben hat.
Der SchülerStandard hat sich unter Österreichs Jugendlichen mit exjugoslawischen Wurzeln umgehört und ein gemischtes Stimmungsbild erhalten.
"Alle Menschen helfen zusammen, weil sehr viele einfach alles verloren haben", sagt der 17-jährige Boris. Die Überschwemmungen haben das Haus seiner Familie in der ostkroatischen Ortschaft Gunja vollständig zerstört. Nachdem seine Angehörigen in einer Notunterkunft untergekommen waren, wurden sie schließlich von Verwandten aufgenommen.
Spenden-Lkws aus Wien
"So einen starken Zusammenhalt dieser Länder gab es noch nie", sagt auch der bosnischstämmige Jusstudent Dario Campara: "Nichtsdestotrotz bleibt das, was Anfang der Neunzigerjahre auf dem Balkan passiert ist, in den Köpfen der Leute."
Der Schüler Dino Mesarnovic spürt hingegen wenig von der neuen Einheit: "Das geht vor allem von prominenten Stars wie Djokovic oder dem bosnischen Fußballer Djeko aus." Dino hat zwei Großmütter in Bosnien, deren Regionen zum Teil von Erdrutschen betroffen sind. Beide hatten jedoch Glück, ihre Häuser sind unbeschädigt.
"In Deutschland und Österreich gibt es ein riesiges Engagement: Viele ehemalige Bosnier organisieren Hilfs-Lkws mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln, da kommt auch viel aus Wien", sagt der 17-Jährige.
Als wir auf die zahlreichen Spendenaufrufe im Internet zu sprechen kommen, die vor allem auf Facebook kursieren, reagieren die meisten Befragten skeptisch. Einige Jugendliche haben von ihren Verwandten gar von "falschen Helfern" gehört, die sich am Leid der Bevölkerung bereichern würden.
Zweifel an unbekannten Spendensammlern
"Viele Spendenaufrufe im Internet sind meiner Meinung nach gefährlich, da man nicht immer weiß, was mit dem Geld passiert. Nach dem Krieg haben sich viele Menschen auf diese Weise ungerechtfertigt bereichert", sagt etwa der 19-jährige Dario.
Auch David hat mit seiner Mutter ausschließlich Spenden für das serbische Rote Kreuz gesammelt, bei anderen Organisationen zeigt er sich skeptisch: "Den Spendenhotlines der Botschaften vertrauen wir nicht, weil das sowieso in Korruption versickern und in den Taschen der Politiker landen wird."
Serbien sei in dieser Hinsicht in den letzten 20 Jahren keinen Schritt weitergekommen: "Ich hoffe, dass sich was verändert. Ein Wiederaufbau ist auch eine neue Chance." (Philipp Koch, Jakob Pflügl, Anna Strümpl, Jakob Sturn, DER STANDARD, 26.5.2014)