Ljubljana - "Und warum hast du dir ausgerechnet Slowenien ausgesucht?", ist meistens die erste Frage, die ich hier gestellt bekomme, wenn ich von meinem Gedenkdienst als Österreicher in Slowenien erzähle. Meistens antworte ich mit "Warum nicht?" - und blicke in verdutzte Gesichter.
Dass jemand freiwillig ein Jahr nach Slowenien kommt, um zu arbeiten, noch dazu aus Österreich, das erscheint den meisten Menschen hier eigenartig bis unverständlich.
Und so ist bei mir nach einigen Wochen der Eindruck entstanden, der Großteil der Slowenen habe keine allzu hohe Meinung von ihrem eigenen Land. Das hängt wohl mit zwei Dingen zusammen: Um die heimische Politik und Wirtschaft stand es schon einmal besser. Zudem hatte ich meistens mit jungen Leuten zu tun, und arbeitsplatztechnisch sieht es für diese Generation nicht gerade rosig aus: Knapp ein Viertel aller unter 25-Jährigen haben keinen Job, viele versuchen daher im Ausland, Geld zu verdienen. Zum Beispiel in Österreich.
Mitfahrgelegenheit
Tausende Slowenen unter 30 pendeln nach Wien, um dort zu arbeiten. Auf Facebook gibt es sogar eine eigene Gruppe, über die Mitfahrgelegenheiten nach Dunaj (slowenisch für Wien) angeboten werden. Billiger und schneller als im Zug, bekommt man auf der Fahrt auch interessante Geschichten erzählt. So habe ich zum Beispiel eine Studentin kennengelernt, die in Wien unter der Woche Partys für Kinder veranstaltet. Mit knapp zehn Feiern in der Woche zählt sie in Slowenien zu den Besserverdienenden.
Überhaupt ist Österreich für viele junge Slowenen so eine Art gelobtes Land: kaum Arbeitslose, bessere Gehälter, ein vermeintlich perfektes Staatswesen und keine korrupten Politiker, die von der unfähigen Justiz nicht einmal verurteilt werden. Dass auch in Österreich vieles nicht so rund läuft, wie es sollte, ist den meisten nicht bewusst.
Nach Mitteleuropa orientiert
Ich schätze an der slowenischen Hauptstadt, dass sie voller junger Menschen ist, das kulturelle Angebot groß und der tägliche Kaffee in einer der kleinen "Kavarnas" der Innenstadt mit 1,50 Euro auch für Normalsterbliche leistbar.
Es erstaunt mich immer wieder, dass Nicht-Slowenen meist wenig bis gar nichts über das Land wissen. Für viele Österreicher liegt es nur auf halber Strecke zum Kroatienurlaub, halt irgendwo auf dem Balkan ... auf dem Balkan? Die meisten Slowenen würden hier vehement widersprechen. Trotz der gemeinsamen jugoslawischen Geschichte haben sich das Land und seine Bewohner seit jeher eher Mitteleuropa zugehörig gefühlt. Das rührt auch von der Geschichte Sloweniens her, das lange Zeit ein Teil Österreich-Ungarns war.
Deshalb sind auch heute noch Wörter wie Dreck, Witz, Fußnote oder Schraubenzieher im alltäglichen Sprachgebrauch verankert. Die meisten Schimpfwörter und Flüche hingegen sind aus dem Serbokroatischen übernommen. Wenn man danach geht, wie oft sie verwendet werden, sind es die besten Flüche der Welt.
Balkan-Mentalität
An der Sprache lässt sich besonders gut festmachen, was auch für die slowenische Mentalität im Großen und Ganzen gilt: Sie ist eine Mischung aus mitteleuropäischer Lebenseinstellung und Balkan-Mentalität.
Durchquert man das Land von Norden nach Süden, so spürt man deutlich, wie unterschiedlich die Menschen sind: im Norden eher zurückhaltend bis verschlossen, im Süden häufig offen und herzlich. Besonders die Vielseitigkeit fasziniert mich an diesem kleinen Land; alle paar Dörfer ändern sich Dialekte und lokale Küche.
Ein bisschen alpenländische Folklore, ein wenig adriatisches Flair und ein Schuss Balkan: Das macht die besondere slowenische Mischung aus. (David Tiefenthaler, Der Standard, 26.5.2014)