Die Banalität des Geheimdienst-Alltags hat ihre Heimat in der deutschen Provinz, in der Heilmannstraße 30 in Pullach bei München. 68 Hektar groß, eingefriedet von drei Meter hohen Betonwänden mit NATO-Draht-Krone, Arbeitsplatz für etwa 3600 Menschen: der Hauptsitz des deutschen Bundesnachrichtendienstes, kurz BND. Doch bald ist es vorbei mit dem bayerischen Idyll, in zwei Jahren soll der Auslandsgeheimdienst die neue Zentrale in Berlin-Mitte bezogen haben, 4000 Mitarbeiter werden dann in dem monumentalen, über eine Milliarde Euro teuren Bau an der Chausseestraße ihrer klandestinen Arbeit nachgehen.
16 Monate beim BND
Jene, die von der Isar an die Spree ziehen müssen, hinterlassen in Pullach ein 1947 bezogenes, immer wieder um- und ausgebautes Refugium des Spießertums und einer wohlig durchorganisierten Kleinbürgerlichkeit: das legen zumindest jene Bilder nahe, die der Fotograf Martin Schlüter nun in seinem Band "Nachts schlafen die Spione. Letzte Ansichten des BND in Pullach." vorlegt. Insgesamt 16 Monate lang durfte Schlüter, Jahrgang 1977, mit seiner Kamera in diese Trutzburg der Geheimhaltung vordringen, in diese bis dahin hermetisch abgeschlossene Stadt in der Stadt, die in Zukunft nur noch eine Außenstelle mit 1200 Mitarbeitern sein wird.
Dass dieses Dokumentations-Projekt mit seinen außergewöhnlichen Einblicken möglich wurde, ist einer Transparenzoffensive des Nachrichtendienstes zu verdanken. Die aktive Mithilfe des BND bei den Abhörexzessen des US-amerikanischen Militärgeheimdienstes NSA, die durch die brisanten Dokumente des Whistleblowers Edward Snowden nahe gelegt wird, die verfassungswidrige Nutzung von Daten aus dem Pool der Amerikaner, der Dauerbeschuss in unzähligen parlamentarischen Gremien - all das hat den Dienst offenbar veranlasst, die Öffentlichkeit zu suchen.
Keine Menschen, keine Fahrzeuge
Aktiv sprachen die Geheimdienstler den mehrfach ausgezeichneten Fotografen im Mai 2012 an, das Ergebnis ist vom Informationsgehalt ungleich höher einzuschätzen, als das vor elf Jahren veröffentlichte BND-Kochbuch mit dem launigen Titel "Top(f) Secret".
Zwei Auflagen musste Schlüter jedoch erfüllen: auf den Bildern durften weder Menschen noch Fahrzeuge zu sehen sein. Zudem achteten BND-Mitarbeiter penibel darauf, dass alle Motive vor dem Ablichten von heiklen Informationen gesäubert wurden. Ansonsten aber, und das ist der eigentliche Schauwert dieser Dokumentation, sind die Arbeitsplätze nicht verändert worden, es wirkt gerade so, als wären die Staatsdiener unmittelbar vor dem Drücken des Auslösers, aus dem Kamerasucher verschwunden.
Mief des BND-Tennisclubs
Vor den Pförtnerhäusern etwa, bei denen die Mitarbeiter jeden Morgen nach Nennung ihres Dienstnamens - der nicht mit dem tatsächlichen Namen ident ist - ihre Identitätsausweise abholen. In der Kurierstelle, von der aus die Boten in die Republik ausgeschickt werden, um streng vertrauliche Dokumente zuzustellen. (Digitalisierte Post vermeidet der Dienst wo er nur kann, die Kuriere sind noch immer gut gebucht.) In der Schneiderei, in der Agenten mit ihrem Einsatzgebiet entsprechender, authentischer Kleidung - Achtung auf die Wäschemarken!, weiß der aufmerksame John-LeCarré-Leser - ausgestattet werden. Oder dem Trainingssraum, dessen spärliche Ausstattung gegenüber jeder besseren Keller-Fitnesskammer abfällt.
Am eindringlichsten wird Schlüters Arbeit, wenn sie einen quasi-soziologischen Blick auf die Räume und Objekte freilegt. Die folierte Wurstsemmel in der vollgeräumten Klause eines Wissenschaftlers, die Auto-Magazin-Stapel am Schreibtisch in der Metallwerkstatt, die abgewetzten Stühle im Vortragssaal, in dem Generationen junger Agenten ihre Schulungen absolvierten, das miefige, holzvertäfelte Vereinshaus des BND-Tennisclubs, der Wäschetrockner neben dem Portiers-Häuschen - all das sind stille Zeugen dafür, dass hier weder glamouröse James Bonds noch smarte CIA-Agenten, sondern bloß biedere Existenzen am Werk sind.
Kuriose Einblicke
Diese Büros, diese Diensträume könnten so auch Teil eines Finanzamts oder einer Schuheinlagenfabrik sein. Es ist die teils verstörende, teils Staunen machende Banalität, die Schlüters Bilder in den Rang des Außergewöhnlichen hebt. Man könnte ihnen aber auch, arglos betrachtet, die Verharmlosung einer staatlichen Einrichtung unterstellen, die in ihrer Vergangenheit immer wieder bewiesen hat, dass Biedersinn und Diensteifer keine Garanten für demokratiekonformes Handeln sind.
Dennoch: Martin Schlüter ist mit "Nachts schlafen die Spione" ein teils kurioser, immer lehrreicher Dokumentar-Band gelungen, dessen sezierender Blick einen Nicht-Ort erhellt, der bislang im Dunkeln lag. Erhellend, wenngleich in Details leider redundant, sind auch die beiden dem Foto-Teil vorangestellten Essays, in denen der Kunstwissenschaftler Klaus Honnef und der Kulturjournalist Niklas Maak die Bildsprache Schlüters historisch einordnen sowie die Entstehung des Pullacher Areals und des Bundesnachrichtendienstes Revue passieren lassen. In Summe ein solitäres Stück Zeitgeschichte - mit all ihren Schattenseiten. (Stefan Schlögl, derStandard.at, 26.5.2014)
Eine Auswahl von Schlüters Bildern zeigen wir in dieser Ansichtssache: