Ich hab ein Büro mit Dreiländerblick: rechts drüben das malerische deutsche Städtchen Lindau, links die Schweizer Berge, vor mir der österreichische Teil des blaugrünen Bodensees. Mein kleines Europa lässt sich bei guter Kondition in einem Tag mit dem Fahrrad umrunden.

Wenn ich mehr Europa will, setze ich mich zwei, drei Stunden in den Zug oder ins Auto. Oberitalien oder das Elsass sind quasi ums Eck. Nach Paris ist es von hier aus gleich weit wie nach Wien. Will ich einen größeren Hafen als den Bregenzer, bin ich in wenigen Stunden in Genua oder Nizza. Nein, das ist jetzt kein Beitrag unter dem Motto "Leben, wo andere Urlaub machen". Denn leider: Der Dreiländerblick wird immer wieder getrübt. Nicht nur durch die Rußpartikel, die Autoschlangen mobiler Europäer an meinen Bürofenstern hinterlassen.

Gar nicht in mein Bild von Europa passt das Unvermögen, unterschiedliche nationale und regionale Bürokratien anzupassen. Anerkennung der Ausbildung, Versicherungen, Steuererklärung und so weiter. Europa ist noch nicht im Alltag angekommen. Abendfüllend sind die Geschichten meiner europäischen Freundinnen und Freunde über mühsame Amtswege und Grenzbalken in den Köpfen. (Jutta Berger, DER STANDARD, 24.5.2014)