Hof 18-20 der Großfeldsiedlung im 21. Wiener Gemeindebezirk präsentiert man bei der Stadt Wien als Vorzeige-Gemeindebau. Denn hier scheint die vieldiskutierte Integration zu funktionieren: Bewohnerinnen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund - hauptsächlich Frauen - treffen sich hier mehrmals wöchentlich zum Hofcafé. Alle bringen etwas mit: die Österreicherinnen Kuchen, die Türkinnen Börek. Dazu wird schwarzer Tee getrunken.

Was heute in der Großfeldsiedlung fast zum Alltag gehört, ist das Resultat eines langen Prozesses, der von "Wohnpartner" - einer Sozialeinrichtung der Stadt Wien - begleitet wurde. Seit Anfang Mai ziehen mobile Teams des Nachbarschaftsservice der Stadt wieder durch die Gemeindebauten.

Gemeinsames Garteln zur Förderung der Gemeinschaft im Gemeindebau.
Foto: Zoidl

Die Sozialarbeiterin Stella Vötsch ist eine von ihnen: Drei- bis viermal pro Woche ist sie mit einem Kollegen abends unterwegs. Gemeinsam klappern sie die Gemeindebauten ab, suchen das Gespräch mit Bewohnern im Hof, helfen, wenn es Probleme gibt.

Hof als Kommunikationsort

Seit 2010 gibt es das mobile Angebot, erzählt Wohnpartner-Teammanagerin Claudia Huemer. Damit könne man Menschen erreichen, die sich sonst nicht an das Nachbarschaftsservice wenden würden. Zwischen Mai und Oktober würden sich Bewohner besonders oft in Außenbereichen aufhalten - das berge Konfliktpotenzial. "Oft reicht es aber schon, wenn man einfach zuhört", erzählt "Wohnpartnerin" Bettina Jakopitsch.

In der Großfeldsiedlung gab es bis vor einigen Jahren auf einer gemeinsamen Grünfläche, die an drei Seiten von Häusern begrenzt wird, nur wenige Parkbänke. Der Hof wurde von Jugendlichen zum Fußballspielen genutzt, was zu Konflikten mit ruhesuchenden Bewohnern führte.

derstandard.at/Siniša Puktalović

In Gruppen- und Einzelgesprächen wurde nach einer Saison eine Lösung gefunden: Hochbeete und Tische wurden aufgestellt, an denen manche Bewohnerinnen heute ihren Nachmittagsplausch abhalten. Im Gegenzug wurde eine löchrige Fußballwiese hinter dem Haus in Schuss gebracht. Ein Bewohner des Baus erklärte sich außerdem bereit, die jungen Gemeindebau-Kicker ehrenamtlich zu trainieren.

"Wir haben aus dem Platz einen Kommunikationsdrehpunkt gemacht", sagt Huemer im Gespräch mit dem STANDARD. Abseits sitzen zwei Männer, die zwar Tee trinken und den Gesprächen aufmerksam lauschen, sich aber nicht zu den Frauen setzen.

Alt gegen Jung

Hört man genauer hin, kommen kleine Risse zum Vorschein. Zwischen Biskuitroulade und Tee erinnert sich Doris Brunner, eine resolute ältere Wienerin, daran, dass früher im Gemeindebau alles besser war. Ihr Hauptproblem: Kinder und Jugendliche, die lärmen, auf die Blumen im Hochbeet urinieren, mit dem Fahrrad durch den Hof brettern und gegenüber Älteren respektlos sind. Besagte Jugendliche lungern in sicherem Abstand hinter dem Fußballplatz herum. Sie haben kein Problem mit den Senioren, sagen sie.

Solche Konflikte sind nichts Neues für Vötsch: Bei vielen Unstimmigkeiten in den Gemeindebauten handle es sich um Generationenkonflikte. Am häufigsten stehe in jeder Wohnsituation Lärm im Mittelpunkt der Streitigkeiten, sagt Josef Cser von Wohnpartner. Aber jeder Konflikt sei mehrschichtig: Oft gehe es um gekränkte Eitelkeiten oder Einsamkeit, wenn sich Senioren über zu laute Kinder aufregen. Auch bei vermeintlichen interkulturellen Konflikten gehe es meist um ein darunter liegendes Thema.

Im Hof kommen im Laufe des Nachmittags immer mehr Türkinnen vorbei. Nun wird zunehmend Türkisch gesprochen - sehr zum Missfallen von Doris Brunner. Sie findet, dass die Frauen die Gelegenheit nutzen sollten, um Deutsch zu sprechen.

Andere Streitkultur

"Wir werden sicher nicht arbeitslos", ist Huemer überzeugt. Lärm und soziale Konflikte sind im Vorjahr leicht angestiegen, "persönliche Konflikte" gesunken - absolute Zahlen rückt die Stadt aber nicht heraus.

Die Stadt werde immer "dichter", innerstädtische Grünflächen von immer mehr Menschen genutzt. Flächen mit Konsumzwang - etwa Cafés - seien für viele außerdem nicht mehr leistbar.

Ein Kennenlernen der Nachbarn kann schon helfen, Konflikte zu vermeiden, meint auch Cser. Er geht davon aus, dass Nachbarschaftskonflikte ein immer größeres Thema werden, dass sich aber auch der Umgang damit professionalisiert - nicht nur in den Gemeindebauten, sondern auch bei privaten Hausverwaltern.

Den Vorwurf, dass früher alles besser war, lässt er so pauschal nicht gelten: Menschen seien heute durch eine andere Erziehung zwar weniger autoritätshörig. "Aber es gibt heute nicht mehr Konflikte - sie werden nur anders ausgetragen."  (Franziska Zoidl, DER STANDARD, 24.5.2014)