Ausgewachsen konnte der Elefantenvogel (Aepyornis maximus) Madagaskars an die drei Meter hoch werden.

Foto: Brian Choo

Skelett eines ausgewachsenen Kiwi neben dem fossilen Ei eines Elefantenvogels: Trotz des enormen Größenunterschieds und der weiten Entfernung zwischen ihren Heimaten sind die beiden Spezies laut einer neuen Studie eng miteinander verwandt.

Foto: Kyle Davis und Paul Scofield, Canterbury Museum

Adelaide - Wer fliegen kann, hat einen Vorteil, wenn es darum geht, sich neue Lebensräume zu erschließen. So haben sich Vögel auf zahlreichen Inseln etabliert, die Säugetiere ohne Hilfe des Menschen nie erreicht hätten.

Eine Gruppe von Vögeln scheint dies aber auch ohne Flugfähigkeit geschafft zu haben. Die Laufvögel sind mit Ausnahme der Antarktis auf allen Kontinenten der Südhalbkugel vertreten: Strauße in Afrika, Nandus in Südamerika, Emus in Australien, Kasuare auf Neuguinea und schließlich Kiwis im isolierten Neuseeland. Einige gemeinsame Merkmale - allen voran das Fehlen eines Brustbeinkamms - weisen darauf hin, dass all diese Arten gemeinsame Vorfahren haben. Doch wie konnten sie sich über die halbe Welt verbreiten?

Ritt auf den Kontinenten

Die historische Erklärung dafür lautet, dass die Ahnen der heutigen Laufvögel auf dem Superkontinent Gondwana lebten. Als dieser im Jura auseinanderzubrechen begann - ein Prozess, der bis in die Erdneuzeit anhielt -, zerfielen auch die Ur-Laufvögel in verschiedene Entwicklungslinien. Ihre heutige weitverstreute Verbreitung hätten sie also allein der Kontinentalverschiebung zu verdanken.

Seit DNA-Analysen in der Evolutionsbiologie Einzug gehalten haben, musste allerdings so manche plausibel klingende Hypothese zu tierischen Verwandtschaften über den Haufen geworfen werden. So auch im Fall der Laufvögel: In jüngerer Vergangenheit zeigte eine ganze Reihe von Studien, dass die Verwandtschaften zwischen den einzelnen Laufvogelarten nicht dem Muster entsprechen, in dem sich die heutigen Landmassen von Rest-Gondwana gelöst haben.

Fern-Beziehungen

Ein besonders krasses Beispiel schildern Forscher um Kieren J. Mitchell von der Universität Adelaide in der aktuellen Ausgabe von "Science". Ihre Untersuchungen mitochondrialer Vogel-DNA kamen zu dem Ergebnis, dass der nächste Verwandte des neuseeländischen Kiwi nicht etwa der riesige Moa war, der bis in historische Zeit als unmittelbarer Nachbar des Kiwi ebenfalls auf Neuseeland lebte. Stattdessen sei es ein anderer Riese gewesen, der einen halben Globus weiter lebte: der Elefantenvogel Madagaskars, der ebenfalls erst in historischer Zeit ausgerottet wurde. Und selbst zu Zeiten von Gondwana lag ein gewaltiges Stück Land zwischen Neuseeland und Madagaskar.

Das wirbelt den Stammbaum der Laufvögel ähnlich durcheinander wie die ältere Entdeckung, dass die südamerikanischen Steißhühner eigentlich ebenfalls zu den Laufvögeln zu zählen sind. Zumindest werden sie heute mit den Laufvögeln in der Gruppe der Palaeognathae zusammengefasst, die allen anderen Vogelarten gegenübersteht. Und diese für Nicht-Ornithologen vage huhnähnlichen Vögel sind zwar keine Meister im Fliegen, aber sie können es.

Verbreitung aus eigener Kraft

Für Mitchell und seine Kollegen fügen sich beide Erkenntnisse zusammen mit Fossilienfunden von Palaeognathae auf der Nordhalbkugel zu einem Bild zusammen, das der alten Gondwana-Hypothese widerspricht. Die australischen Forscher glauben, dass die Ahnen der Laufvögel fliegen konnten und sich aktiv über die Welt verbreiteten.

In ihren neuen Lebensräumen angekommen, hätten sie dieser Theorie zufolge mehrfach und völlig unabhängig voneinander die Flugfähigkeit verloren. Zugleich entwickelte die Mehrzahl der Laufvogelarten - erneut unabhängig voneinander - Gigantismus: ein Fall von evolutionärer Konvergenz. Das klingt nach einem unwahrscheinlichen Zufall, könnte laut den Forschern aber eine sich von selbst ergebende Weiterentwicklung tagaktiver Pflanzenfresser sein.

Wer zu spät kommt ...

Auf jeden Fall war dabei laut Mitchell und seinen Kollegen das Timing entscheidend, und das in mehrfacher Hinsicht. Die Palaeognathae nutzten ein wichtiges Zeitfenster, nämlich die ersten zehn Millionen Jahre nach dem Aussterben ihrer Dinosaurierverwandtschaft, als die Säugetiere noch nicht alle ökologischen Nischen besetzt hatten. So konnten sich riesige flugunfähige Vögel in manchen Regionen etablieren - zum Teil bis in die Gegenwart.

Zum anderen könnte der Timing-Aspekt erklären, warum die Palaeognathae-Arten jeweils alleine eine Landmasse besiedelt haben. Und warum in den beiden Ausnahmefällen die Nachbarn extrem unterschiedlich waren bzw. sind: Riesige Moas und kleine Kiwis auf Neuseeland, großgewachsene Nandus und kleine Steißhühner in Südamerika. Weder hier noch dort sind die unmittelbaren Nachbarn nämlich am engsten miteinander verwandt.

Die Forscher interpretieren dies so, dass nur die Erstankömmlinge auf einem Kontinent bzw. einer Insel eine Nische für große nicht-fliegende Pflanzenfresser antrafen. Später eintreffende Palaeognathae-Verwandte fanden die Nische bereits besetzt vor und blieben daher klein - und im Fall der Steißhühner sogar flugfähig. (jdo, derStandard.at, 24. 5. 2014)