Alles nur idyllische Einbildung im mörderischen Gruselhaus: Die Mutter (Ruth Weber) entfernt sich, Tochter Nadja (Sarah Wegener) aber sucht die Nähe des Vaters (Otto Katzameier).

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Wien - Jenes zum Verkauf stehende Haus ist eines mit Gedächtnis, ist ein Aufbewahrungsort der Vergangenheit. Für Nadja, die es loswerden will, wird es jedoch zum Erinnerungskerker, zum Museum jener Traumata, die innerhalb der Mauern ihr untotes Wesen treiben. Zwei Bewohner, Mutter und Vater, sind zwar verstorben. Bluthaus von Librettist Händl Klaus und Komponist Georg Friedrich Haas beginnt indes mit einem sanft sich entfaltenden Duett der Eltern, dem sich Tochter Nadja langsam annähert.

Was zunächst als Szene einer netten Ehe, als Familienidyll erscheint, entpuppt sich letztlich als töchterliche Fantasie, vielleicht als Versuch, erlittene Katastrophen umzudeuten, die sich in diesem Haus zutrugen und ebenda lebend herumwandern. Als der väterliche Satz "du bist schon groß genug" fällt, wird langsam evident, dass hier eine Inzestgeschichte mit blutigem Ausgang herumspukt. Das Haus hat die realen Ereignisse konserviert.

Davon allerdings wissen die nach und nach sich einfindenden potenziellen Käufer nichts, die der Makler (intensiv Daniel Gloger, besonders als sich auflösende "Verkaufspuppe") von den Vorzügen der Behausung zu überzeugen sucht. Die kaufwillige Gesellschaft entfaltet quasi buffonesken Smalltalk, ein skurril anmutender Contest der Phrasen entsteht, die das Libretto auf verschiedene Figuren verteilt - bis ein nachbarliches Pärchen erscheint und offenbart, was geschah: Vater und Tochter waren einander zu nahe gekommen, Mutter hat Vater ermordet und sich hernach die Kehle durchgeschnitten. Wie diese blutige Erkenntnis auch dem Letzten dämmert, steigert sich das Werk - in der ansonsten eher soliden Inszenierung von Peter Mussbach - zu szenischer Angstekstase. Klaustrophobisch eng wird der Raum für die Käufer, während die Musik von Haas bewusst zugänglicher wird und in endlosen Wiederholungen von Strukturen verharrt.

Leider ist es längst schon etwas spät, dem Werk entscheidend auf die Sprünge zu helfen. So virtuos kontrapunktisch Einzelsätze auf die Figuren aufgespalten werden, so wenig behält das Libretto in der Kaufszene die Traumageschichte im Blick, auch wenn Erinnerungen an das elterliche Todes-Duo (profund Ruth Weber und Otto Katzameier) implantiert werden. Zu tief will das zumeist gesprochene Opernwort in jede Nebenfigur eintauchen. Zu sehr wird Nadja (grandios Sarah Wegener) an den Rand gedrängt. Wie sie danach wieder ins Zentrum rückt, ist auch kein dramaturgisches Aufbäumen mehr zu erleben - es plätschert dahin: Nadja beschließt aufzugeben. Der Verkauf wird abgeblasen, es wird von außen abgesperrt. Nadja bleibt drin.

Tolle Orchesterwelt

Schade. Eine komprimierte Werkmitte und der Verzicht auf manch Nebenfigur hätten Bluthaus weitaus mehr Innenspannung verliehen. Auch inszenatorisch sind reale Verkaufsebene und das Geisterhafte nicht sehr subtil voneinander abgegrenzt. Es bleibt als Faszinosum dann doch vor allem die subtile Orchesterwelt, welche sich wie Lava um die Ereignisse legt. Es ist das Paradox "Bewegung in der Statik", die den Charme dieser von Dirigent Peter Rundel und Klangforum Wien profund und gleißend umgesetzten Musik auszeichnet.

Die Musik wirkt wie ein mit großem Raffinement gebauter Energieraum, der sich um die Szene schlingt und sie mit düsterer Aura auflädt. Selten bricht die Klangwelt pochend aus ihrer flächigen Anlage aus. Haas setzt auf ostinatogeprägte Gestik, die vokale Glissandi umgarnt, auf markante intervallische Reibungen und insgesamt auf eine Atmosphäre, die nie im Unklaren lässt, dass es für Nadja kein Entrinnen aus dem Traumahaus gibt. Applaus. (Ljubiša Tošic, DER STANDARD, 23.5.2014)