FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und sein Herrenchor, bestehend aus Granden der FPÖ, hat ihnen sogar sein jüngstes Sprechlied gewidmet: den Nichtwählern. Die FPÖ ruft die "Patrioten zur Wahl". Bei der EU-Wahl haben alle Fraktionen, allen voran aber die FPÖ, Probleme, ihre Wählerschaft zu mobilisieren. Sich den Nichtwählern explizit zuzuwenden macht also durchaus Sinn. Einerseits bezieht die Politik über die Wahlbeteiligung ihre Legitimation, andererseits gibt es bei der großen Gruppe der Stimmverweigerer - zumindest in der Theorie - am meisten zu holen. 54 Prozent der Österreicher, also mehr als jeder Zweite, zog es bei der EU-Wahl 2009 vor, nicht zur Urne zu gehen. Zum Vergleich: Bei der Nationalratswahl 2013 blieb ein Viertel zu Hause.
Als hätte er einen kleinen Sieg zu verkünden, meinte Norbert Darabos, Bundesgeschäftsführer der SPÖ, über die zu erwartende Wahlbeteiligung bei der EU-Wahl: "Ich glaube, dass es gelingen kann, in Richtung 50 Prozent Wahlbeteiligung zu gehen." Auch Paul Schmidt, Geschäftsführer der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik, setzt die Latte für eine aus seiner Sicht erfolgreiche Wahlbeteiligung im Vergleich zur Nationalratswahl niedrig an: Eine höhere Wahlbeteiligung als zuletzt wäre das "maximale Glück". Sollten die 46 Prozent nicht übertroffen werden, wäre er schon "ziemlich zufrieden", wenn Österreich sein Abschneiden über dem EU-Durchschnitt halten könnte.
Wahlpflicht wirkt positiv
2009 gaben durchschnittlich 43 Prozent der Wahlberechtigten aus 27 Staaten ihre Stimme ab: der vorläufige Endpunkt eines steten Abwärtstrends. 1979 - damals wurden die Abgeordneten in das EU-Parlament erstmals direkt gewählt - lag die Wahlbeteiligung in den neun Mitgliedsländern noch bei 62 Prozent. Das Wahlverhalten der Länder ist übrigens äußerst unterschiedlich. Mit einer Wahlbeteiligung von jeweils über 90 Prozent zählen Belgien und Luxemburg zu den diszipliniertesten Wählern. Die in diesen Ländern herrschende Wahlpflicht wirkt sich zweifelsohne positiv auf das Wahlverhalten aus. Mit rund 20 Prozent bildeten 2009 Litauen und die Slowakei das europaweite Schlusslicht in puncto Wahlbeteiligung.
Was tun, um das Wählerinteresse zu steigern? Schmidt setzt auf Zeit. So gebe es bisher keine große Tradition, zur EU-Wahl zu gehen. "Das Ganze wirkt sehr abstrakt und weit weg." Das europäische Parlament hat durch den Vertrag von Lissabon jedoch sehr stark an Kompetenzen und Einfluss gewonnen. "Bis das einmal sickert, dauert das eine Zeit." Schmidt will Österreichs Politiker stärker in die Pflicht nehmen. Es bräuchte einen wesentlich intensiveren Austausch zwischen dem europäischen und dem österreichischen Parlament.
Richtungsentscheidungen seien sinnvoller als "im Nachhinein Reklamegespräche für die EU", sagt Sora-Meinungsforscher Christoph Hofinger zum Standard. Die Wahlbeteiligung bedeutend zu erhöhen würde erst dann gelingen, wenn "es einen europäischen Stimmzettel gibt" und wenn die "Europäer in der Lage sind, europäische Regierungen zu wählen oder abzuwählen", glaubt Hofinger. Derzeit hätten viele den Eindruck, sie könnten mit ihrer Stimme ohnehin nichts verändern, und ordnen daher die Bedeutung der EU-Wahl als nachrangig ein.
Die Verheißung, dass die Siegerpartei auch den Kommissionspräsidenten stellen soll, gibt etwas Hoffnung, mehr Europäer für die Wahl zu begeistern. Die europaweiten Spitzenkandidaten der stimmenstärksten Fraktionen, Jean-Claude Juncker (EVP) und Martin Schulz (SPD), rittern um das Amt. Hofinger: "Das Rennen Schulz gegen Juncker mobilisiert in homöopathischen Dosen, ohne diese Ansage wäre die Wahlbeteiligung vermutlich noch geringer."
Schmidt setzt in diesem Zusammenhang auf die nächste EU-Wahl 2019. "Wenn es jetzt gelingt, dass der Kommissionspräsident indirekt über die Wahl ernannt wird, würde die Ausgangslage für die Wahlbeteiligung für 2019 wesentlich besser aussehen."
Vorerst bleibt die nationale Stimmung - in Österreich und in vielen anderen Ländern - "prägend" für die Wahlentscheidung der Unionsbürger. "Die EU-Wahlen werden dazu verwendet, Dampf abzulassen, weil sie eben erst langsam den europäischen Charakter bekommen", sagt Hofinger. (Katrin Burgstaller, DER STANDARD, 22.5.2014)