"I run this City" stand auf dem Shirt eines Läufers, der mir einmal in Halifax in Kanada entgegenkam. Wir liefen beide nach dem gleichen Prinzip: den Stadtplan in der einen, die Kamera in der anderen Hand. Touristisches Laufen gibt es auch als Geschäftsmodell, doch oft scheitert es an zwei Knackpunkten: dem Tempo der Gruppen und der Dauer von Foto- oder Erklärpausen. Doch auch Städte, die man wirklich gut kennt, sieht man aus der Touri-Perspektive mit ganz anderen Augen.

Sich Städte zu erlaufen kann was. Auch dann, wenn man sie - so wie ich Innsbruck - eigentlich ganz gut kennt oder sie - ebenfalls wie Innsbruck - zu klein und zu übersichtlich sind, um sich in ihnen ohne Stadtplan zu verlaufen.

Empfehlenswert ist es aber, zu Zeiten unterwegs zu sein, zu denen man die Ecken mit den Sehenswürdigkeiten noch nicht mit anderen Besuchern teilen muss.

Thomas Rottenberg

Innsbruck ist eine meiner Lieblingsstädte in Österreich. Das hat 1.000 großteils persönliche Gründe. Aber ich war schon länger nicht mehr hier. Da einen Drehtag mit einer Prise Sightrunning zu beginnen weckt Erinnerungen.

Und das Gegenlicht der gerade über der Stadt heraufkrabbelnden Sonne verklärt den ohnehin noch verschlafenen Blick auf die eigene Vergangenheit.

Thomas Rottenberg

Abgesehen davon ist Innsbruck natürlich vor allem die Stadt zwischen den Bergen. Und zwar genau dazwischen. Ich finde das großartig. Aber ich kenne etliche Leute (auch Einheimische), die Innsbruck genau deshalb nicht aushalten.

Wegen der Enge - im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Oder der "lustigen" Winde, die sich von der Nordkette auf die Stadt herunterstürzen und nicht nur das Starten und Landen hier ein bissi "tricky" machen: Wer föhn- oder wetterfühlig ist, sollte so rasch wie möglich auswandern.

Thomas Rottenberg

Egal, wie zeitig man sich auch aufmacht, eine Stadt zu erlaufen: Die Asiaten sind immer schon vorher da. Vermutlich liegt das an den legendären "Europe in 5 Days"-Trips: Wer im Jahr nur eine Woche Urlaub hat und an einem Tag Innsbruck/Venedig/Rom am Plan hat, nutzt den Tag ab dem ersten Sonnenstrahl. Oder noch früher.

Wobei: Ob es diese Hardcore-Reisen tatsächlich gibt, habe ich nie nachgeprüft. Und das Risiko, mir durch Recherchen dieses schöne Klischee kaputt zu machen, will ich nicht eingehen.

Thomas Rottenberg

Wer in Innsbruck läuft, rennt normalerweise den Inn entlang. Dort gibt es feine Uferpromenaden und hübsch ausgeschilderte und akkurat vermessene Laufrouten.

"Innsbruck Inn Motio" steht auf den alle paar hundert Meter aufgestellten Tafeln. Doch das Spannende an der Stadtlauferei ist eigentlich der Slalom durch und über Gassen, Straßen und Plätze.

Thomas Rottenberg

Natürlich bleibt man da auch im "Heiligen Land" auf den Pilgerrouten der Touristen. Und weil steter Tropfen den Stein höhlt, kam das, was mir jedes Mal bei der Triumphpforte mit dem Pädagogen-Zeigefinger vorgetragen worden war, von selbst wieder hoch: Nicht einmal, wenn ich wollte, könnte ich vergessen, dass dieses Ding nicht von den Römern, sondern den Habsburgern stammt, weil es Erzherzog Leopolds Hochzeit im Jahre Siebzehnhunderttaschenmesser mit irgendeiner Bourbonenprinzessin zu bejubeln galt.

Und das Teil steht noch, weil nicht - wie damals eigentlich üblich - aus Holz gebaut wurde. Nutzloses Wissen, aber ich liebe es.

Thomas Rottenberg

Vom Steinbogen sind es dann nur ein paar Minuten die Maria-Theresien-Straße hinunter zur Pestsäule, die natürlich in Wirklichkeit Annasäule heißt. Um diese Zeit ist es noch kein Thema.

Aber: Allen Wienern, die sich vor bösen Radfahrern in Fußgängerzonen fürchten (und es nicht schaffen, auf die Tuchlauben zu schauen), sei der Besuch hier tagsüber ans Herz gelegt: Das kann nämlich funktionieren.

Thomas Rottenberg

Touristen sind ja immer nur die anderen. Und wenn man weiß, dass Touristen (abgesehen von den Asiaten) Langschläfer sind, kann man das gut ausnutzen - und sich das Superklischeebild bis zuletzt aufheben: das Goldene Dachl nämlich. Tagsüber halte ich dieses Eck nicht aus.

Aber: Morgens um sieben ist die Welt eben noch in Ordnung.

Thomas Rottenberg

Das gilt auch in Wien: Das Schöne am Unterwegssein mit Leuten, die einen Flecken Erde das erste Mal sehen, ist das Sich-anstecken-Lassen. Von ihrem Staunen, ihrer Begeisterung und ihrem Schauen.

Amerikaner eignen sich da besonders gut. Weil sie schon bei Gründerzeithäusern von "archaeological sites" zu hyperventilieren beginnen.

Thomas Rottenberg

Oder beim Blick auf die von Sisi in Schönbrunn errichtete Meierei enthusiastisch von Authentizität und Geschichte schwärmen, während alle meine Wiener Freunde hier laut darüber nachdenken, aufs Laufen zu pfeifen und sich eines der besten Wiener Frühstücke der Welt zu gönnen (ja, eh, um sieben spielt es das eh nicht).

Thomas Rottenberg

Zofia und George "funktionierten“ so, wie fast alle Lauf-Besucher, denen ich den Schlosspark von Schönbrunn zeigte.

Obwohl es eigentlich umgekehrt ist: Die New Yorker liefen mit großen Augen durch den Park - und erinnerten mich daran, dass sich die Habsburger hier das Disneyworld ihrer Zeit gebastelt hatten: Mit wilden Tieren hinter Gittern - und Nachbauten von beinahe echt antiken Ensembles.

Thomas Rottenberg

Wer mit Gästen in Schönbrunn unterwegs ist, tut gut daran, den Weg vom Parkett hinauf zur Gloriette durch den Wald zu laufen. (Oder zu gehen, das ist in diesem Fall egal).

Erfahrungsgemäß funktioniert die Orpheus-Methode auf den frei verlaufenden Serpentinen nämlich nicht: Irgendwann drehen sich alle kurz einmal um ...

Thomas Rottenberg

... und bringen dich so um den ganz großen "Wow"-Effekt: den Blick über Park, Schloss und Stadt eben nicht Schritt für Schritt wachsen zu sehen, sondern die Totale mit einem Paukenschlag vorgesetzt zu bekommen. "Oh my god! Amazing! This is so impressive!"

Thomas Rottenberg

Ja, eh: Die Gloriette fanden sie auch ziemlich super, ...

Thomas Rottenberg

... so wie das Palmenhaus. Und sogar den Tirolerhof ("Oh, this really looks authentic. But it is fake, is it? You could stage some Heidi-Impersonator-Events here. People would not need to go to Switzerland any more ...“).

Doch es ist jedes Mal vor allem die barocke Gartenarchitektur, die "really unbelievable" ist: "I thought Peter Greenaway had made this up for his 'Draughtman's Contract'.“

Thomas Rottenberg

Und dann kommt in der Regel doch eine als Frage getarnte Erkenntnis: "How many countries do you have to tax and rule to be able to afford all this?"

Thomas Rottenberg

Aber auch wenn Zofia und George nicht in Princeton Wirtschaft und Politik studiert hätten, wäre ihnen klar, dass das heute nicht anders funktioniert. Nirgendwo auf der Welt, nur sieht es hier schöner aus: "There always is money for showing off - and for war. Always was, always will be. And nobody was or is interested in those, who actually pay for all of this.“

Freilich: Um das zu verstehen, muss man weder reisen noch laufen. Aber beides hilft. Doch das ist eine andere Geschichte. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 21.5.2014)

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