Panaibra Gabriel Canda in seinem Stück "The Marrabenta Solos" bei den Wiener Festwochen im Brut.

Foto: Wiener Festwochen

Wien - Zwischen Suchbewegungen im Philosophischen und Trotz gegenüber einer grausamen Geschichte spannen Kat Válastur und Panaibra Gabriel Canda einen erhellenden Bogen. Zufällig brachten beide Choreografen nun zeitgleich aktuelle Soloarbeiten nach Wien: Válastur zeigte Gland (dimension a & b) im Tanzquartier, und Canda tanzt The Marrabenta Solos bei den Festwochen im Brut-Theater Künstlerhaus.

Gland lässt das Publikum an der Reise einer weiblichen Figur durch einen fantastischen Denkraum teilhaben. Das brillante Stück besteht aus zwei Teilen: einer Liveperformance und einer Erzählebene, die die Künstlerin auf einer Website eingerichtet hat. Der getanzte Teil findet in einem durch zwei Wände angedeuteten Raum statt, in dem die Schwerkraft gekippt zu sein scheint. Um diesen Effekt zu erzielen, setzt Válastur ihre ganze virtuose Bewegungskunst ein.

Die Geräusche - Atmen, Zischen, der dumpfe Klang eines schweren Geräts - wandern im Raum oder kreisen über den Körpern der Zuschauer. Einmal mimt die Figur eine Sphinx, deren Körper sich in durcheinanderwirbelnden Lichtpunkten aufzulösen scheint. Auf der Erzählebene im Internet ist das eine "Asphalt-Sphinx", die eine der "marginal sculptures of newtopia" (wie der Untertitel des Stücks heißt) darstellt. Aus dieser von der Künstlerin so genannten "Dimension b", die nach dem Erlebnis des Live-Solos gelesen werden kann, klingt Válasturs Stimme.

Sie berichtet von ihrer Reise durch eine mysteriöse Stadtstruktur, die den Turm von Babylon ebenso umfasst wie einen chromglitzernden Fluss oder einen Raum, in dem Masken hängen. Kat Válasturs "Newtopia" ist ein aus seiner Zeit gefallener, fiktiver Überrest unserer Kultur mit Spuren unter anderem von Pablo Picasso und Franz Kafka.

Spuren des Kolonialismus

Unauslöschlich bleiben bis heute die ganz realen Spuren des Kolonialismus. Warum das so ist, weist Panaibra Gabriel Canda in The Marrabenta Solos zusammen mit dem Gitarristen Jorge Domingos auf. Beide kommen aus Mosambik, das bis 1975 eine portugiesische Kolonie war. Der Marrabenta ist als lokale Form zwischen afrikanischer und portugiesischer Volksmusik mit starken Pop-Einflüssen in der mosambikanischen Hauptstadt Maputo entstanden.

Begleitet von Domingo tanzt und spricht Canda direkt über die Verwerfungen seiner Identität und indirekt darüber, wie der - alte und neue - Kolonialismus die afrikanischen Kulturen aus ihren Bahnen geworfen hat. Es geht um die Auslöschung des "Stammeskörpers", des "rituellen", "schwarzen", des "afrikanischen" Körpers zugunsten eines "assimilierten", "neuen" Körpers. Dieser wird bis heute nicht nur von der einstigen Kolonialmacht geformt, sondern auch von den Nachwirkungen der kommunistischen Diktatur nach 1975 und von der 1994 eingeführten Demokratie.

Kat Válasturs zweifelnde Suche nach der Identität der europäischen Kultur und Panaibra Gabriel Candas verzweifelt anmutender Versuch, die Konflikthaftigkeit der afrikanischen Menschen begreiflich zu machen, zeigen, in welcher Krise sich das traditionelle Verständnis von "Kultur" heute auf beiden Kontinenten befindet. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 19.5.2014)