Soma/Istanbul - Die türkische Polizei hat am Samstag die Bergarbeiterstadt Soma vier Tage nach dem verheerenden Minenunglück mit insgesamt 301 Toten zur Unterdrückung wütender Proteste abgeriegelt. Hunderte von Polizisten patrouillierten nach dem Ende der Bergungsarbeiten in den Straßen, während andere an der Zufahrtstraße Ausweise kontrollierten.

Der Nachrichtenagentur Dogan zufolge wurden 36 Menschen verhaftet. Darunter befänden sich acht Anwälte, die verdächtigt worden seien, an neuen Protesten teilnehmen zu wollen. Der Lokalgouverneur hatte wegen der Ausschreitungen am Vortag ein Demonstrationsverbot verhängt.

Suche beendet

Die Regierung hatte zuvor die Suche nach Opfern für beendet erklärt. "Es gibt keine Vermissten mehr", sagte Energieminister Taner Yildiz am Samstag. Am Nachmittag seien die letzten beiden Leichen aus dem Kohlebergwerk geborgen worden. Die Zahl der Toten liege damit bei 301. 485 Kumpel hätten die Katastrophe vom Dienstag überlebt.

Die Suche nach Überlebenden sei "ein Rennen gegen die Zeit" gewesen. Den Angehörigen der Opfer sagte Yildiz Hilfe zu. Die Ursache des Unglücks werde weiter untersucht.

Festnahmen

Das weltweit schwerste Grubenunglück seit fast 40 Jahren hat wütende Proteste gegen die Regierung ausgelöst, der Kritiker eine Mitschuld an der Katastrophe geben. Nach den Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei am Freitag in Soma dauerten die Spannungen dort am Samstag an. Augenzeugen berichteten, zwischen 50 und 100 Menschen hätten sich geweigert, ihre Versammlung aufzulösen. Nach einem Wortgefecht hätten Polizisten einige Menschen geschlagen und mehrere festgenommen.

Auch in der Metropole Istanbul ging die Polizei am Abend gewaltsam gegen Demonstranten vor. Die Sicherheitskräfte setzten auf der zentralen Einkaufsmeile Istiklal Caddesi Wasserwerfer und Tränengas ein, wie dpa-Reporter berichteten. Hunderte Demonstranten forderten in Sprechchören den Rücktritt der Regierung wegen des verheerenden Grubenunglücks. Ihr wird unter anderem vorgeworfen, schärfere Sicherheitskontrollen verhindert zu haben.

Verwackelte Sequenz

Für zusätzliche Brisanz sorgten Vorwürfe, Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan habe bei einem Besuch in Soma am Mittwoch einen Mann geohrfeigt, der ihn ausgebuht habe. Das von Regierungskritikern als Beleg für den Vorfall gewertete Video ist in der entscheidenden Sequenz allerdings so verwackelt, dass Erdogans Verhalten nicht klar zu erkennen ist. Erdogans Partei AKP wies die Vorwürfe zurück.

Erdogan war bei seinem Besuch in dem Unglücksort Soma am Mittwoch von einer Menschenmenge ausgebuht und ausgepfiffen worden. Der Ministerpräsident hatte unter anderem die schlechte Sicherheitsbilanz der Kohlebergwerke in der Türkei heruntergespielt und gesagt: "Solche Unfälle passieren ständig." Für Empörung hatte auch Erdogan-Berater Yusuf Yerkel gesorgt, der bei dem Besuch auf einen am Boden liegenden Demonstranten eintrat. Yerkel entschuldigte sich inzwischen.

Obama bot Hilfe an

US-Präsident Barack Obama bot der Türkei Hilfe an. In einem Telefonat mit dem türkischen Präsidenten Abdullah Gül drückte Obama sein Beileid aus. Welche Hilfe genau er dem Land zukommen lassen wollte, blieb in einer Mitteilung des Weißen Hauses jedoch zunächst unklar.

Aus der Unglückszeche trat am Samstagmittag weiterhin Rauch aus, wie ein dpa-Reporter aus Soma berichtete. Im strömenden Regen fanden weiter Beerdigungen der vielen Toten statt.

Deutsche Politiker kritisierten inzwischen einen für kommenden Samstag (24. Mai) in Köln geplanten Auftritt Erdogans. Forderungen nach einer Absage der Großveranstaltung wurden laut.

Erdogans Partei AKP betonte, der Auftritt in Köln sei keine Wahlkampfveranstaltung, sondern würdige das zehnjährige Bestehen der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD). Kritiker gehen jedoch davon aus, dass Erdogan türkischer Präsident werden und in Köln um Stimmen werben will. An der Präsidentschaftswahl am 10. August dürfen erstmals auch die im Ausland lebenden Türken teilnehmen. (APA, 17.5.2014)