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Rufus Wainwright sitzt in der Ecke seines ausladenden Hotelsofas und isst. Das hätte man auch aus größerer Distanz bemerkt. Denn der Musiker zählt offenbar zu jenen Menschen, die der Theorie anhängen, dass Essen erst dann sein volles Aroma entfalten kann, wenn es während des Zerkleinerungsprozesses mit Sauerstoff versorgt wird. Um diese Zufuhr sicherzustellen, lässt Rufus also den Mund offen, schmatzt genüsslich, leckt sich Avocadosoße von den Fingern, wischt diese an seiner Hose trocken und beginnt - kauend und bröselnd - die Frage nach seinem Befinden ("Oh, well, good I guess") zu beantworten. Dass ihm dabei noch ein, zwei mittlere Rülpser entfahren, auf die er nicht näher eingeht, runden den Erstkontakt ab.

Oberflächlich betrachtet steht dieses mäßig attraktive Erscheinungsbild in krassem Gegensatz zu seinem Werk: einem erhabenen, oft feingliedrig versponnenen Pop, der sich von diesem Genre oftmals auch abwendet, um sich bei klassischer Musik zu bedienen. Doch bei näherer Betrachtung offenbart sich ein uvre, das stellenweise wirkt, als wäre Hieronymus Bosch als Songwriter wieder auferstanden: "There's a fire in priory/And it's ruining the cocktail party/Yesterday I heard they cloned a baby/Now can I finally sleep with me?"

Wainwright: "Ich versuche, das Zeitlose mit dem Modernen zu verbinden. Wenn mir das gelingt, bin ich glücklich. Zeitgenössisch ist mir zu wenig. Das ist Pop und banal. Meine Vision, mein Ehrgeiz geht dahin, trendungebundene Kunst zu schaffen. Dass meine vier Alben zurzeit allesamt in den britischen Verkaufscharts sind, deute ich als Zeichen dafür, dass mir das zumindest ein wenig gelingt."

Diese Alben, dessen jüngstes Want Two eben erschienen ist, haben seit 1998 das Bild eines exzentrischen jungen Mannes entstehen lassen, der sich offen zu seiner Homosexualität bekennt und künstlerisch einen Balanceakt bewerkstelligt, der zwischen schwülstig überladenen Barockfantasien und nonchalantem Pop angesiedelt ist. Ein James Bidgood mit Gitarre. Wainwright, Sohn der Folkgrößen Kate McGarrigle und Loudon Wainwright III, erneuert das Image des romantisch veranlagten Fin-de-Siècle-Dandys, samt todesverachtender Junkie-Vergangenheit.

Wainwright: "Einerseits bin ich zutiefst amerikanisch. Andererseits fühlte ich mich immer als Europäer: Ich liebe die Oper, klassische Literatur, die Wehmut, aber auch die Erhabenheit der Geschichte." Was von dieser Dandyfigur ist der echte Rufus, wie viel davon Image? "Das ist schwierig. Früher war ich noch viel ärger. Ein Möchtegerndandy. Ich lebte gewissermaßen im Kaffeehaus, schrieb Gedichte im Kerzenschein, all das. Ein wandelndes Klischee. Was nun nicht mehr ins Bild passt, ist, dass ich hart arbeite. Das ist sehr, sehr undandyhaft. Aber zum wirklichen Dandy fehlt mir das nötige Geld."

Künstlerisch ist er längst angekommen. Want Two ist das bislang exaltierteste Album des 31-Jährigen. Es beginnt mit dem sakral anmutenden Agnus Dei, schüttelt darauf folgend das ungleich weltlichere The One You Love aus dem Ärmel, arbeitet sich zum schwulen Erlöser (Gay Messiah) vor und verneigt sich mit der zartbitteren Hommage Memphis Skyline vor dem verstorben Jeff Buckley, einer zu Lebzeiten ähnlich ätherischen Gestalt wie Wainwright. Das Stück Gay Messiah sorgte in den USA für einige Aufregung. Verknüpft es doch christliche Terminologie mit schwuler Ikonografie und ist so für Fundamentalisten um mindestens drei Stufen zu hoch gedacht. Wainwright seufzt: "Ursprünglich war der Song als Scherz gedacht. Aber unter den Eindrücken der Wiederwahl von George W. Bush, dem Rechtsruck, dem ganzen bigotten Konservativismus entwickelte er sich mit seinem Reibungspotenzial zu einer Art Protestsong. Zumindest haben ihn die scheinheiligen Rechten dazu gemacht. Selber schuld."

Probleme mit seiner Rolle als "schwule Ikone" hat Wainwright, zuletzt übrigens in Martin Scorseses Film The Aviator als Nachtclub-Sänger zu sehen, nicht: "Ich habe mich da schon früh für Offenheit entschieden. Schon weil ich ein ganz schlechter Lügner bin und für ein Doppelleben einfach nicht das Hirn habe. Außerdem wollte ich immer Teil der schwulen Kulturgeschichte sein: Oscar Wilde, Cole Porter, Jean Cocteau ... Manche Leute denken, dass sexuelle Orientierung und Kunst nicht zusammenhängen. Für mich hat sich meine künstlerische Laufbahn gänzlich aus diesem Umstand heraus entwickelt. Kunst war mein Fluchthelfer, mein Anker im Meer der Verwirrung und Versuchung. Meine offene Homosexualität hat auch kaum jemanden gestört. Noch am ehesten die Gay Community selbst. (Hier macht er eine divaeske, wegwerfende Geste.) Aber um die zu verstehen, reicht ein Leben wohl nicht aus." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1.4.2005)