Von Montag bis Freitag täglich eine Stadtgeschichte von Thomas Rottenberg

Auch als Buch: Die besten Stadtgeschichten aus dem Stadtgeschichten - Archiv - zum Wiederlesen & Weiterschenken. "Wiener Stadtgeschichten" mit Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder, Echomedia Verlag Ges.m.b.H., ISBN 3-901761-29-2, 14,90 Euro.

Es war vor vier Tagen. Da wollte B.s Schwester uns etwas zeigen. Sie sagte nicht, was. B.s Schwester bat uns auch nicht in eine der seit Jahrzehnten als Treffpunkt eingeführten Kaffeehütten – sondern zu Starbucks. Ausgerechnet. Aber als wir uns sträuben wollten, erklärten, Starbucks sei doch der Sündenfall der Kaffeehauslehre, zu teuer, zu franchisesystemkettengleichartiganonym, zu überhaupt und zu irgendwas, da lachte B.s Schwester nur. Wir würden sehen. Dann legte sie auf.

B.s Schwester hat seit neuestem Zwillinge. Obwohl: Genau genommen stimmt "seit neuestem" nicht – die Zwillinge sind über zwei Jahre alt. Aber B.s Schwester hat sich auch eine soziale Kinderpause verordnet: Die Prioritäten einer mit zwei Frischlingen gesegneten Jungfamilie liegen am Anfang ein bisserl anderswo, als die von kinderlosen Singles und Pärchen.

Deshalb freuten wir uns. Erstens wegen B.s Schwester und zweitens weil es doch fein ist, wenn die 3-K-Lehre, die noch unseren Müttern in der DNA steckt, nicht mehr greift. Aber wieso ausgerechnet Starbucks?

Mugg

B.s Schwester war vor uns da. Samt Nachwuchs. Der wuselte zwischen und über die Sofas, quäkte vergnügt und ließ sich von Personal und anderen Gästen anflirten – wenn der nicht gerade mit anderen Kindern beschäftigt war. Wir holten uns unsere Muggs, ich zog A. damit auf, dass sie hier aufs Rauchen verzichten müsse und ich ihr das von ganzem Herzen und halber Lunge gönne – und dann fragten wir B.s Schwester, was sie uns eigentlich zeigen wolle. "Das hier", sagte sie.

Erst da fiel es uns wirklich auf: Die Kinder. Und die Kinderwägen. Das Lokal war voller Kinderwägen. B.s Schwester hatte zwar den größten – aber da standen noch mindestens vier. Und die dazugehörigen Mütter (plus ein paar Vätern) wirkten ganz anders, als jene wenigen Eltern, die ihren Nachwuchs in einem echten Kaffeehaus dabei haben. Selbstbewusster. Selbstverständlicher. Am Tisch nebenan plauderten zwei Hochschwangere.

Falscher Schutz

Bevor wir fragen konnten, extemporierte B.s Schwester: Sie brauche sich hier nicht schuldig zu fühlen, ihr Kind (oder sich) Passivrauch auszusetzen. Besser: Hier könne sich kein Kellner oder Gast hinter diesem Schutzargument verstecken, um sie raus zu ekeln. Und darüber, dass Kaffeehausmöbel heilig sind, Kinder eine Gefahr für sie seien und sie deshalb prinzipiell ruhig sitzen (und sein) müssen, habe ihr hier noch niemand eine Predigt gehalten.

Ja, setzte B.s Schwester fort, auch das „Kinder gehören doch an die frische Luft“-Argument kenne sie – aber eine Gesellschaft, die Kinder als selbstverständlichen und willkommenen Bestandteil ihrer selbst betrachte, müsse es Müttern und Eltern doch auch ermöglichen, bis vor dem Kind selbstverständliche urbane Kultur nicht nur in Kinder-Gettos zu genießen. Kinderfreundlichkeit dürfe man, erklärte B.s Schwester, nicht nur von Arbeitgebern, Staat oder Kommune einfordern wenn es um Betreuungsplätze, Barrierefreiheit oder Wiedereinstieg gehe – auch der Alltag zähle. Vor allem der. Wenn der keinen Platz für Kinder böte, wäre es kein Wunder, wenn die Lust auf Kinder ... und so weiter.

Prägung

Aber eigentlich, sagte B.s Schwester, habe sie uns gar kein Referat über Kinderkompatibilität und Wirklichkeit halten wollen. Sie habe etwas anderes zeigen wollen: Nämlich, dass die Sache mit der frühkindlichen Prägung tatsächlich funktioniere. Das Starbuckskinderzimmer sei Marketing-, Image- und Brandingarbeit zum Mitwachsen und Zuschauen. Sie sei gespannt, wie und ob sich das später im individuellen Kaffeehausauswahlverhalten der heutigen Babys manifestieren werde: Ihre Zwerge würden Starbucks freudig krähend wieder erkennen – bei klassischen Kaffeehäusern (sie habe es wirklich, mehrmals und an einigen Orten probiert, rechtfertigte sich B.s Schwester) habe es nach einschlägigen Initialerlebnissen da ganz andere Reaktionen gegeben.

A. kam dann doch noch zu Wort: Aber teuer sei das hier schon. Oder? B.s Schwester lachte. Wir hätten im Prückl, im Sperl oder im Ritter wohl schon lange nicht mehr geschaut, was man uns da für qualitativ wie quantitativ oft nicht einmal Gleichwertiges (und wohlweislich erst, wenn das Häferl schon lange weg sei) abgenommen hätte. Oder? Sie sei uns nicht böse: Auf so was nicht achten zu müssen, gehöre eben zu den Privilegien kinderloser Doppelverdiener. Darüber werde sie uns ein andermal noch einiges erzählen.