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Ein transdisziplinäres Forschungsprojekt am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien will auf die Schwierigkeiten, mit denen jungen Menschen ohne Arbeit konfrontiert sind, über die statistischen Daten hinaus aufmerksam machen. "Bildungstopographien - Der Arbeitsmarkt und seine 'schwer vermittelbaren' Jugendlichen" thematisiert die schwierige Situation von Jugendlichen, die auf einem immer überfüllterem Arbeitsmarkt um eine berufliche Identität ringen und in berufsbildenden Kursen des "Auffangnetzes" auf einen Job warten.

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derStandard.at: Wie sind sie auf die Idee gekommen, sich eingehender mit dem Thema Jugend und Beruf auseinanderzusetzen?

Agnieszka Dzierzbicka: Wir wollten unbedingt ein Projekt in diesem Bereich machen. Entstanden ist die Idee aus einer Vorlesung mit dem Titel " Anthropologische Fragehorizonte: Jugend - Begriffsbestimmungen und Deutungen". Die Vorlesung halte ich immer im Sommersemester.

derStandard.at: War ihr Zugang ein rein erziehungswissenschaftlicher?

Agnieszka Dzierzbicka: Die Idee war, mit anderen Kolleginnen ein transdisziplinäres Projekt zu machen. Wir wollten Probleme, die sich in unserer Vorlesung ergeben haben, anhand von anthropologischen Fragestellungen untersuchen, beispielsweise die Rolle von Beruf heutzutage. Nachdem diese Lehrveranstaltung auch für das Modul Cultural Studies anrechenbar ist, haben wir beschlossen, in diesem Bereich zu forschen. Einer der wichtigsten Eckpunkte der Cultural Studies ist es nämlich, wissenschaftliche Begriffe verständlich zu machen, Forschung auch nach außen zu tragen, raus aus dem Elfenbeinturm Universität. Vor diesem Hintergrund ist die Idee entstanden, einen begleitenden Videofilm zu produzieren.

derStandard.at: Inwiefern waren die Studierenden am Projekt beteiligt?

Agnieszka Dzierzbicka: Wir wollten unter anderem auch das Spannungsfeld Forschung und Vermittlung behandeln. Da war es natürlich naheliegend zu sagen, warum machen wir nicht ein Projekt mit den Studierenden, aber auch für die Studierenden, im Sinne von Lehre begleitender Forschung, das wir zugleich auch für die Öffentlichkeit verständlich aufarbeiten. Für die Studierenden ist eine Anrechnung als Praktikum laut Studienplan vorgesehen, wobei man sagen muss dass sie daran viel länger als die vorgeschriebenen 160 Stunden gearbeitet haben.

derStandard.at: Wie ist die Durchführung des Projektes vor sich gegangen?

Agnieszka Dzierzbicka: Ich habe gemeinsam mit einer Soziologin, Helga Eberherr, das Projekt geleitet, sie hat sich um den methodischen Teil gekümmert. Nachdem es uns wichtig war, mit den Forschungsergebnissen auch an die Öffentlichkeit zu gehen, haben wir Fiona Rukschcio, Politikwissenschaftlerin und freie Künstlerin, eingeladen, uns zu unterstützen. Sie hat den projektbegleitenden Film "Um Antwort wird gebeten" gedreht, in dem Jugendliche über sich und ihre Berufsperspektiven sprechen. Der Film wurde bei Konferenzen gezeigt, ist momentan bei mehreren Festivals eingereicht, und wird an der Uni Wien wie auch Fachhochschulen in Wien gezeigt, wir wollen damit also unbedingt an die Öffentlichkeit.

derStandard.at: Was war ihr vorrangiges Ziel, das sie mit ihren Forschungen erreichen wollten?

Agnieszka Dzierzbicka: Wir wollten endlich mal die Jugendlichen zu Wort kommen lassen, die von der Situation "Arbeitslosigkeit" unmittelbar betroffen sind, ihre Seite der Geschichte beleuchten. Die Seite der Wirtschaft kennt man ja, und das ist nun mal einfach ein anderer Blickwinkel

derStandard.at: Wurden die Erwartungen erfüllt, mit denen sie in die Befragungen gegangen sind?

Agnieszka Dzierzbicka: Die Erwartungen, mit denen wir an das Projekt herangegangen sind, wurden eigentlich sogar übertroffen. Wir haben auch ganz deutlich gemerkt, dass wir selber Vorurteile hatten. Zum Beispiel haben wir erwartet, dass die Jugendlichen über die Fortbildungskurse schimpfen, aber das war nicht so. Sie haben zwar die Mängel aufgezählt, aber zugleich betont, wie wichtig die Kurse für sie sind. Ein weiteres widerlegtes Vorurteil: Manche Jugendliche reden einfach nicht so gerne über sich und ihre Situation, man geht vor dem Interview automatisch davon aus, dass der Betroffene gerne über sich erzählen wird, aber manchmal klappt das eben einfach nicht.

derStandard.at: Wie haben die Jugendlichen darauf reagiert, dass jemand etwas über ihre Situation wissen wollte?

Agnieszka Dzierzbicka: Manche waren verunsichert, aber die meisten wollten mit ihrer Geschichte raus. Viele von ihnen waren auch wirklich hochqualifiziert, wollten arbeiten, und waren froh dass sich jemand einmal ihre Seite der Geschichte anhört. Wir haben die Jugendlichen als Expertinnen ihres Alltags befragt, sie sind sehr unterschiedlich mit dieser Situation umgegangen.

derStandard.at: Was waren die einschneidendsten Erkenntnisse aus der Studie?

Agnieszka Dzierzbicka: Einschneidend war vor allem die Erkenntnis, wie wichtig die Kurse des "Auffangnetzes" für die Zeitstrukturierung sind. Die identitätsstiftende Funktion von Arbeit führt dazu, dass Jugendliche ohne Arbeit vom Leben abgeschnitten sind. Dieses zu Hause "vergammeln" war für alle Jugendliche ein Hauptproblem. Eine Erkenntnis, die schon Maria Jahoda (Die Arbeitslosen von Marienthal) hatte: Sobald man die Zeit hat, alles zu machen, was man will, so eine Zeit wäre ja die Zeit der Arbeitslosigkeit, hat man keine Kraft dazu.

derStandard.at: Was wären ihre Verbesserungsvorschläge?

Agnieszka Dzierzbicka: Wir wollten darauf aufmerksam machen: Die Kurse sind wichtig zur Strukturierung der Zeit, aber ihre Qualität ist zumeist abhängig vom persönlichen Engagement der KurstrainerInnen und –Leiterinnen, denn es gibt keine curriculare Verortung dieser Kurse. Und ein Hauptproblem bleibt darin bestehen, dass es einfach zu wenige Jobs für alle gibt, egal wie viele Kurse sie machen und wie qualifiziert sie sind. Manche TrainerInnen ermuntern sie trotzdem, sich anzustrengen um einen Job zu kriegen, und bei den Absage nach zahlreichen Bewerbungen sind die Jugendlichen enttäuscht und haben das Gefühl, nicht genug geleistet zu haben, persönlich versagt zu haben.

derStandard.at: Was ist für sie das Fazit aus ihren Forschnungsergebnissen?

Agnieszka Dzierzbicka: Die wichtigste Erkenntnis: Jugendliche wollen lernen, sie wollen arbeiten, und es ist ihnen wichtig, in Fortbildungskursen sinnvolle Dinge zu lernen, um ihre Chancen am Arbeitsmarkt zu verbessern. Das Hauptproblem: Jugendliche fragen sich gar nicht mehr was sie eigentlich arbeiten wollen, der Job als identitätsstiftender Faktor hat am heutigen Arbeitsmarkt keine Bedeutung mehr. Maßstab für eine Ausbildung ist nur mehr die Vermittelbarkeit am Arbeitsmarkt.

derStandard.at: Wo könnte sich die Bildungswissenschaft in die Diskussion einbringen?

Agnieszka Dzierzbicka: Bildungswissenschaft könnten sich dazu einmal Gedanken machen, welche Möglichkeiten es gibt, um diese Kurse auch inhaltlich sinnvoll zu gestalten. Man müsste sich anschauen, welcher Spielraum in Hinblick auf Allgemeinbildung innerhalb dieses Auffangnetzes besteht, denn es sind nicht selten Sprach-, Schreib oder Rechenkenntnisse, an denen es mitunter durchaus mangelt. Ein weiterer Punkt: Welche Ausbildungsmöglichkeiten bestehen, für die TrainerInnen selbst, gibt es da Bedarf?

derStandard.at: Ist die Berufsberatung nicht gut genug?

Agnieszka Dzierzbicka: Das kann man so nicht sagen, es gibt auch genug Angebote, aber es ist oft eine Frage des falschen oder richtigen Zeitpunkts – nicht jeder Jugendliche ist zum selben Zeitpunkt, im selben Alter reif für eine Berufswahl, und entsprechend interessiert an einer Berufsberatung, auf diese Unterschiede muss man eingehen. Dazu ist ein authentischer, ehrlicher Umgang mit den Jugendlichen nötig – Die ständige Betonung der Wichtigkeit einer gut überlegten Berufswahl darf nicht zu einer leeren Floskel werden.