Pastrami

Die wildesten Gerüchte ranken sich rund um Longhorn, Microsofts nächste Windows-Version. Fakt ist, dass es sich bei Longhorn für den Konzern aus Redmond um eines der umfangreichsten Projekte der letzten Zeit handelt. Im Gegensatz zu Windows 98, ME oder XP handelt es sich hier nicht nur um eine optische Aufbesserung der Oberfläche und zahlreiche kleinere Verbesserungen, sondern um eine absolute Neuentwicklung zahlreicher Komponenten.

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Rinderschau

Bevor wir uns mit den technischen Details beschäftigen, lassen Sie uns einen Blick auf die kommende Oberfläche werfen. Unter dem Codenamen "Aero" wird ein neues GUI (Graphical User Interface) entwickelt, das die den Benutzer laut Microsoft noch besser in seiner Arbeit unterstützen soll. Bekannt ist von Aero nur das, was man von den Community Technology Previews, die Microsoft über MSDN und auf den diversen Entwicklerkonferenzen verteilt, kennt. Betont wird hierbei immer, dass es sich um eine Vorschau handelt und nicht um ein fertiges Produkt. Böse Zungen behaupten ja, dass Microsoft mit Aero wartet, bis Apple seine neue Mac OS X Version herausgebracht hat, damit die besten Features noch abgekupfert werden können. Aber das ist ja nur ein böses Gerücht.

Aero ist das, was man an der Oberfläche sehen wird, die schwerwiegenden Änderungen geschehen darunter. Unter dem Namen WinFX wird bereits fleißig an einem neuen Programmierschnittstelle gearbeitet, welche das bereits in die Jahre gekommene Win32 ablösen soll – "alte" Programme werden aber weiterhin unter Longhorn laufen können, verspricht Microsoft. Diese neue Programmierschnittstelle setzt auf dem .NET Framework auf und soll daher eine schnelle, sichere und einfache Programmierung ermöglichen. Das neue API (Application Program Interface) soll vor allem die Anzahl der benötigten Codezeilen dramatisch kürzen.

Im Ganzen?

Fein aufgeschnitten!

Vier Bereiche, die so genannten "Pillars" ergeben zusammen WinFX. Diese vier Technologien oder Ausrichtungen sind die "Fundamentials", "Avalon", "WinFS" und "Indigo". Aufmerksame Leser werden bei dieser Aufzählung über "WinFS" gestolpert sein. Dieses Datenbanksystem, das im Zusammenspiel mit einem bestehenden Filesystem die Suche nach Informationen erleichtern soll bzw. selber einmal die Rolle des Dateisystems übernehmen soll, wurde von Microsoft bereits nach hinten verschoben und nicht mehr Bestandteil des Longhorn-Releases sein. Trotzdem ist es ein fundamentaler Bestandteil von WinFX, daher werden wir uns diesem auch noch genauer widmen.

Unter dem Begriff "Fundamentials" fassen die Designer bei Microsoft das zusammen, was mit der "Trustworthy Computing Initiative" von Bill Gates begonnen wurde. Die Sicherheit muss auch bei der Programmierung von Longhorn ganz oben auf der Prioritätenliste stehen. Und so gibt es nicht nur regelmäßige Code-Reviews und Sicherheitstests während der Entwicklung, sondern auch neue Mechanismen für Entwickler, damit diese ihre Anwendungen und Dienste sicherer machen können.

Ist das auch frisch?

Gulasch

Um der DLL-Hell, bei der verschiedenen Programme unterschiedliche Versionen einer DLL installieren, zu entgehen haben sich die Entwickler genauso etwas einfallen lassen, wie für die Installation von Anwendungen. Mit „ClickOnce“ lassen sich Programme von einer Webseite mit einem Klick installieren – ähnlich dem "WebStart", wie ihn Sun bereits mit Java anbietet. Weiters werden mit Longhorn nun auch endlich alle Mechanismen verfügbar sein, dass neue Anwendungen keinen Benutzer mit Administratorrechten mehr benötigen, um zu funktionieren.

Tafelspitz

Klingt der Inhalt von "Fundamentials" noch relativ langweilig und trocken, so leuchten die Augen der Entwickler auf, wenn es um "Avalon" geht. Und sieht man als Anwender einmal, was Avalon alles bietet, so leuchten auch die eigenen Augen vor lauter Vorfreude auf. Avalon bietet eine einheitliche Grafikschnittstelle zur Programmierung von Anwendungsoberflächen unter Longhorn. Und was hier alles geboten wird, würde eigentlich einen eigenen Artikel verlangen. Aber lassen Sie mich eine kurze Zusammenfassung versuchen.

Beinscherzl

Avalon ist komplett vektorbasiert. Das heißt man kann in ein Fenster oder eine Anwendung stufenlos hinein- und hinaus Zoomen. Microsoft geht davon aus, dass in Zukunft Displays mit 300 dpi die Regel sein werden. Eine "klassische" Anwendung wäre auf so einem Schirm nur mehr etwa 2x2 Zentimeter groß – also nicht wirklich lesbar. Aber auch für Personen mit einer Sehschwäche ist dieses Feature sehr praktisch. Vetorbasiert bedeutet aber auch, dass ich jedes Fenster stufenlos rotieren lassen kann – damit werden auch "schräge" Anwendungen im wörtlichen Sinne möglich.

Schulterscherzel

Avalon führt aber auch eine neue Methode ein, wie die Oberfläche einer Anwendung erstellt wird. Muss man derzeit mit den GUI-Buildern der verschiedenen Entwicklungsumgebungen mühsam Oberflächen zusammenbauen, kann man diese Aufgabe mit Longhorn wie bei HTML an spezialisierte Designer und ihre Tools auslagern. Mit XAML, der "Extensible Application Markup Language" führt Microsoft eine XML-basierte "Sprache" mit der man ein GUI einfach beschreiben (deklarieren) kann – ähnlich, wie man es auch mit HTML kann. Die Tools dafür werden von Adobe, Macrovision und anderen Herstellern kommen, die bereits GUI-Werkzeuge anbieten.

Weißes Scherzel

Mit Avalon verabschiedet sich Microsoft aber auch vom klassischen Aussehen einer Windows-Applikation mit Menüpunkten wie Datei, Bearbeiten, Hilfe, etc., wie sie von Microsoft jahrelang durch Styleguides gefordert wurden und die einer der Faktoren waren, die der Windowsplattform zum Durchbruch verholfen haben. An ihre Stellen sollen funktionsspezifischen Anwendungen treten, die im Aussehen an ihre Aufgabe angepasst werden sollen. Unter dem Begriff Archetypen haben die Entwickler von Microsoft bereits die wichtigsten Funktionsgruppen zusammengefasst und diesen auch schon spezielle Hilfsmittel in Form von Methoden und UI-Elementen mitgegeben.

Beinfleisch

So gibt es etwa für die Textanzeiger und Editoren eigene Textmodule, die den Inhalt abhängig von der Größe des Fensters und der Auflösung drei-, zwei- oder einspaltig, anzeigen, ohne dass man dafür eine Zeile Code schreiben muss. Scrollt man durch ein längeres Dokument wird neben der Scrollleiste eine Vorschau der kommenden Seite angezeigt – natürlich "sexy" halbtransparent und wenn eine Grafik oder ein Video eingebettet wurde, wird dieses auch angezeigt.

Hüferscherzel

Themes gehören bei vielen Anwendungen – WinAmp oder Firefox sind hier schöne Beispiele – mittlerweile zum guten Ton. Mit Longhorn und Avalon wird jede Anwendung "themebar". Mit Styles kann man z.B. das E-Mail Programm einmal wie einen Business-Mailer aussehen lassen, wohingegen der Junior das Programm etwa im XBox Design präsentiert bekommt.

Wadelstutzen

Darüber hinaus spendieren die Entwickler Avalon auch noch eine Menge neuer Standarddialoge und anderer Elemente, die dann auch noch durch Composition einfach miteinander kombiniert werden können. So gibt es etwa eine neue Kontaktauswahl, die den Zugriff auf die im Adressbuch gespeicherten Kontaktdaten konsolidiert. Aber auch rotierende Bilderkarusselle und andere Effekte mit verschiedensten Multimediadaten werden durch Avalon deutlich vereinfacht.

Schlepp

Etwas unspektakulärer, dafür aber für Entwickler umso interessanter ist die mit Longhorn neue Kommunikationsschnittstelle Indigo. Das neue API fasst, so Microsoft, das beste aus .NET remoting, ASMX, System.Messaging, and .NET Enterprise Services in einem Framework zusammen. Mit Indigo wird auch die serviceorientierte Programmierung bzw. SOA (serviceorientierte Applikationen) von Microsoft ganz klar vorangetrieben. Für Entwickler wird es mit Indigo sehr einfach, etwa Web Services (SOAP, XML) oder Message Queueing (MQ) in eigene Programme zu integrieren. Auch die Grenzen der Kommunikation – "spricht" mein Programm mit dem Sidebar auf meinem Rechner oder mit einem entfernten Dienst – werden mit Indigo immer fließender.

Kavalierspitz

Was WinFS, das in Longhorn integrierte Datenbanksystem, bringen wird, kann man zurzeit noch nicht verlässlich abschätzen – zu viel kann sich noch bis zum tatsächlichen Release ändern. Was man aber in den Pre-Alpha-Versionen schon sehen konnte, war beeindruckend. Ordner, deren Größe auf den Schirm sich mit der Anzahl der darin verbindlichen Dokumente verändern, Suchabfragen über verschiedene Festplatten, die sich als Ordner darstellen und auch ablegen lassen und sich bei jedem Zugriff automatisch anpassen.

Kruspelspitz

Auch die Beziehungen zwischen Dokumenten verschiedener Anwendungen, die aber etwa zu einem Projekt gehören, lassen sich mit WinFS wesentlich einfacher und flexibler verwalten, als dies zur Zeit möglich ist. WinFS wird auch als zentrale Stelle für die Synchronisation zwischen PCs oder PDAs sorgen. Agenten kümmern sich darum, dass man etwa bei einer Power Point Präsentation im Vollbildmodus keine Instant Messaging Popups auf den Schirm bekommt.

Fettes Meisel

All diese Erleichterungen, die Microsoft mit Longhorn bringen will, haben natürlich auch ihren Preis. So ist eine Grafikkarte, die alle DirectX 9 Funktionen in Hardware ausführt, für den Einsatz von Longhorn Pflicht – ansonsten wird es einfach zu langsam. Auch geht der Konzern aus Redmond aus, dass RAM, CPU und die Festplattenkapazitäten über dem liegen, was man zurzeit so daheim hat. Ein Terabyte sollte man schon auf der Festplatte zur Verfügung haben.

Bild: ati

Schwarzes Scherzel

Geschickt war Microsofts Schachzug, Avalon und Indigo auch für Windows XP und den Windows Server 2003 anzubieten. So kann der Konzern mit einer schnelleren und breiteren Annahme der neuen Technologien rechnen und Unternehmen werden bereits jetzt zum Wechsel auf die aktuellen Plattformen motiviert. Abzuwarten bleibt, wie sich die Verschiebung von WinFS auf die Funktionalitäten von Longhorn auswirken wird. Aber das wird wohl erst die Beta-Version zeigen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Weißes Scherzel

Wie weit Microsoft noch vom Release in Jahre 2006 entfernt ist, zeigt die aktuelle Community Technology Preview von Avalon und Indigo, die Microsoft dieser Tage allen MSDN-Abonnenten zur Verfügung gestellt hat. Interessant wird auch die Windows Hardware Engineering Conference (WinHEC) Ende April in Seattle. Hier brodelt zurzeit die Gerüchteküche, ob Bill nun eine weitere Alpha-Version, oder doch schon eine Beta 1 von Longhorn präsentieren wird.

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