Haubensessel "Peekaboo"

Foto: Hersteller

Was ist eigentlich so falsch daran, die Eigenschaften des Designs aus Schweden zu benennen? Schlicht und einfach ist es, oft handwerklich geprägt, nicht selten aus natürlichen Materialien wie Holz gefertigt; Farben leuchten oft hell - nie grell: Schwedisches Design verkörpert Vernunft. Und in seiner bescheidenen Art, seiner Abneigung gegen exaltiertes Gehabe, empfiehlt es sich für alle Haushalte, ist Produkt gewordene Demokratie. Aber das genügt den Schweden nicht mehr.

Heuer, im Jahr 2005, hat man das Jahr des Designs ausgerufen. Hunderte von Veranstaltungen kreisen um die Frage, was gutes Design ist, arbeiten sich an der Frage ab, inwieweit Kunsthandwerk, Kunst, Architektur und Design in eins fallen - oder eigene Wege gehen. Und ob es nicht Aspekte gibt, die jenseits blanker Vernunft siedeln. Und Schweden wäre nicht Schweden, würde sich an diesen Fragen nicht das ganze Volk abarbeiten, sich im demokratischen Auseinandersetzen üben. Allen Veranstaltungen voran widmet sich die Liljevalchs konsthall dem Thema.

Aufruf zum Objekte-Zusammentragen

Wie in jedem Frühjahr sind die Schweden aufgerufen, die Objekte einer Ausstellung zusammenzutragen, selbst zu Künstlern zu werden und so den Inhalt des alljährlichen "Spring Salon" mitzubestimmen. 2005 erstmals zum Thema Design. Aus über 1200 Einsendungen hat die Jury um die Kuratoren Niclas Östlind und Zandra Ahl 284 Objekte gewählt, die sich über die Ausstellungsräume verteilen. Sofern Design jedoch etwas mit Gebrauchsgegenständen zu tun hat, ist bei diesem Verfahren keine Designausstellung zustande gekommen - zu stark entpuppen sich die Einsendungen als gebastelte Taschen und Schalen, seltsame Skulpturen und angemalte Haushaltsgeräte. Aber vielleicht gibt die Schau dennoch Aufschluss. Etwa darüber, womit sich die Schweden gerne umgeben würden: Objekte, bei denen auch ein Augenzwinkern erlaubt ist, Objekte, die, neben funktionalen Aspekten, auch poetische oder humorvolle Einsichten zulassen. Ein Stuhl etwa, an dessen Hinterbeinen spezielle Kufen zum Schaukeln angebracht sind.

So neu dieses Bild, das sich vom nüchternen Image des schwedischen Designs distanziert, für den Ausstellungsbetrieb auch sein mag, so selbstverständlich ist es schon längst für eine inzwischen etablierte Nachwuchsgeneration. Zu ihr zählen etwa Monica Förster oder Eva Schildt. Letztere sorgte sich vor einigen Jahren um das Leben im Freien. Nun, parallel zur Stockholm Furniture Fair, zeigte sie eine Tränke, die auch Vögeln eine angenehme Ruhestatt bietet. Wo bislang strenge Ordnung, Sparsamkeit, Raffinement und handwerkliches Geschick das Design im Norden bestimmten, mischen sich seit Jahren Spielformen, die sonst eher in Holland oder Belgien zu bestaunen sind.

So bescherte Fredrick Mattson vor einem Jahr dem Hersteller Blå Station...

... einen Art Stuhlschleife, die als Sitzgelegenheit zum Herumlümmeln ebenso viel Sinn machte wie als temporärer Arbeitsplatz mit einem Laptop. Aber auch Mattson beherrscht das Vereinfachen. In diesem Jahr zeigt Blå Station seinen Stol 69, dessen Sitzschale den Beinen Halt gibt: Sie schnappen in die Holzschale ein, sodass Schale und Beine fest miteinander verspannt sind. Ein Stuhl, dessen Fertigung extrem industriell vonstatten geht, was die Produktion auch im Hochlohnland Schweden möglich macht. Ein Thema, das auch für Skandinavien immer wichtiger wird. Denn inzwischen stellen, wenn auch noch zurückhaltend, Italiener, Deutsche und holländische Unternehmen in Stockholm aus. Die Konkurrenz kommt von überall - wenngleich die Messe kaum internationale Strahlkraft hat. Immerhin: Der Markt im Norden wird für Hersteller immer interessanter, die Messe wächst von Jahr zu Jahr.

Vielleicht hat Blå Station deswegen einen weiteren Sessel entwickelt, der vor Unbill und äußeren Bedrohungen schützt. Peekaboo, entworfen von Stefan Borselius, ist eine Schalenkonstruktion, bei der sich eine Haube zuklappen lässt. Allein ein Plexiglasfenster gibt den Blick aus der heimeligen Sitz- Schutz-und Trutzburg frei. Die Suche nach echtem schwedischen Design wird immer schwieriger - auch nach skandinavischem. Klar, es gibt weiterhin die Klassiker. Firmen wie Artek aus Finnland, die mit Entwürfen von Aino und Alvar Aalto, der Artek mit gründete, bekannt wurden. In diesem Jahr präsentierte man einen Zeitungs- und Feuerholzständer, entworfen von dem Designstudenten Pancho Nikander: pur, klar, ordentlich - skandinavisch. Und etwas langweilig. Hier zeigt sich: Ohne Fokussierung auf den Weltmarkt ist offenbar keine Zukunft mehr zu sichern. So hat Artek den britischen Designer Tom Dixon mit ins Boot geholt, um dem Zeitgeist künftig auch im Norden auf die Schliche zu kommen. Was daraus wird, kann allerdings erst in der Zukunft bestaunt werden - die Kooperation hat gerade erst begonnen.

Und das ist die eigentliche Botschaft: Das Design wird, jetzt auch in Stockholm, immer europäischer. Schon längst entwerfen die gleichen Hände und Köpfe für italienische, holländische oder Schweizer Firmen. Inzwischen zu den Weltstars gehört etwa das Architektur- und Designtrio Claesson, Koivisto, Ruhne, das in Schweden, Japan und Deutschland ebenso Architekturprojekte realisiert wie für Cappellini oder Offecct Möbel entwirft. Offecct wiederum, einer der namhaftesten Hersteller von Bürowelten aus Schweden, bedient sich der Ideen des Schweizers Alfredo Häberli oder des Franzosen Jean-Marie Massaud - wenngleich die Mehrzahl der Neuheiten in diesem Jahr aus der Feder des Stockholmer Trios stammt. Darunter auch die Arbeits- und Entspannungsliege Woob, die auf sensible Weise Typologien von Tisch und Liege miteinander fusioniert. Oder ein Coffee Table Vertigo, dessen innere Flächen mit einem Spiegel versehen sind. So scheint das Möbel tief in den Boden des Zimmers hineinzuragen.

Sollte es dennoch etwas typisch Schwedisches geben...

... dann ist es die Ruhe und Stille der übersichtlichen Stadt Stockholm, die Offenheit der überschaubaren Messe, wo in den Gängen keine Wände stehen, wo es sich in ruhiger Weise flanieren lässt. Hier, in jenem Land, wo jeder Bürger die E-Mail-Korrespondenz der Politik und Behörden mitlesen kann, herrscht so etwas wie Vertrauen. Das könnte der Exportschlager der Zukunft werden. (Knut Hornbogen/Der Standard/rondo/18/03/2005)