Streitpunkt Ante Gotovina. EU-Ratsvorsitzender Jean-Claude Juncker hatte Kroatien ein Ultimatum bis Mittwoch gesetzt, um den flüchtigen General nach Den Haag auszuliefern.

Brüssel - Wegen der nach Ansicht der meisten EU-Staaten unzureichenden Zusammenarbeit Kroatiens mit dem UNO-Kriegsverbrechertribunal hat die Europäische Union ihre für den morgigen Donnerstag geplante Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Regierung in Zagreb auf unbestimmte Zeit verschoben. Sobald die EU eine "vollständige Zusammenarbeit" Kroatiens mit Tribunal feststelle, könnten die Gespräche beginnen, sagte der Luxemburger Außenminister und EU-Ratsvorsitzende Jean Asselborn nach dem Beschluss der Außenminister am Mittwoch in Brüssel.

Auslieferung "nie verlangt"

Asselborn betonte, die EU habe von Kroatien nie verlangt, dass der untergetauchte, wegen Kriegsverbrechen gegen Serben bei der Rückeroberung der Kraijna angeklagte General Ante Gotovina nach Den Haag ausgeliefert werden müsse. Kroatien müsse aber beweisen, dass es mit dem Tribunal "voll kooperiere". Dies hatte die UNO-Chefanklägerin Carla del Ponte bis zuletzt im Fall Gotovina bestritten. "Kroatien hat den Schlüssel. Die volle Zusammenarbeit ist in der Hand der kroatischen Regierung", sagte Asselborn. "Die Tür zur EU ist offen, sobald die Kriterien erfüllt werden", ergänzte EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn. Asselborn ergänzte, Kroatien habe bereits beim nächsten Treffen der EU-Außenminister im Mai Gelegenheit, seine Bemühungen zu beweisen.

Plassnik: "Erfolg"

Die Außenminister beschlossen nach heftigen Debatten den von der EU-Kommission vorgeschlagenen Verhandlungsrahmen für Gespräche mit Kroatien. Außenministerin Ursula Plassnik (V) wertete dies als "Erfolg" und als "Signal des Engagements und der Ermutigung" nicht nur für Kroatien, sondern für die Balkan-Region. Der Verhandlungsrahmen mit 35 Kapiteln sieht vor, dass die Gespräche bei ernsthaften und dauerhaften Verstößen gegen Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ausgesetzt werden können. Ein neues Datum für die Aufnahme der Gespräche nannten die EU-Außenminister Kroatien dagegen nicht.

Österreich für Verhandlungen

Bereits vor dem EU-Ministerrat hatte sich abgezeichnet, dass es nicht die erforderliche Einstimmigkeit für die Aufnahme von Verhandlungen gibt. Nach Angaben von Diplomaten sah eine Mehrheit der EU-Staaten wegen der bis zuletzt kritischen Bewertung durch Del Ponte die Voraussetzungen für Gespräche nicht erfüllt, vor allem Großbritannien, Finnland und die Niederlande. Für die bedingungslose Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Kroatien hätten sich schließlich mehr Länder eingesetzt als ursprünglich, neben Österreich etwa Ungarn, Slowenien, Malta, Irland, Litauen und Zypern.

Plassnik sagte, sie habe die behauptete unzureichende Zusammenarbeit Kroatiens mit Den Haag "in Frage gestellt". Die EU sollte bei dieser Bewertung "mit großer Vorsicht vorgehen, denn Unmögliches kann man nicht verlangen". Die EU habe Kroatien bewusst kein neues Datum gesetzt, sondern nur eine Bestätigung der vollen Zusammenarbeit Zagrebs mit dem UNO Tribunal verlangt. Sobald dies der Fall sei, könnten die Verhandlungen umgehend beginnen. Der Zeitpunkt werde "in erster Linie von den kroatischen Bemühungen" abhängen. Dies sei nicht ausschließlich eine Frage, ob Gotovina in Den Haag sei, sondern dass Kroatien alles unternehme, um ihn zu ergreifen. Der kroatische Premier Ivo Sanader erklärte in einer ersten Stellungnahme, er sei mit der Entscheidung unzufrieden.

Gotovina ist seit 2001 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen während und nach der Operation "Sturm" zur Rückeroberung der von den Serben kontrollierten Krajina 1995 angeklagt. Er soll unter anderem für die Tötung von mindestens 150 Serben, die Zerstörung von Städten und Dörfern, Deportationen und andere Kriegsverbrechen verantwortlich sein. Die kroatische Regierung hat bis zuletzt betont, seinen Aufenthaltsort nicht zu kennen. Nach Angaben von UNO-Chefanklägerin Del Ponte ist der mutmaßliche Kriegsverbrecher "in Reichweite" der kroatischen Behörden.

Keine Verknüpfung mit EU-Frage

Das Nein der EU gegenüber Kroatien will Plassnik nicht mit der umstrittenen Frage von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei verknüpfen. "Wir haben heute weder über die Türkei gesprochen, noch gibt es für mich irgendeinen Grund, die österreichische Haltung zur Türkei zu ändern", sagte sie. Die "Financial Times" (FT) zitierte unterdessen EU-Diplomaten, die Befürchtung äußerten, Österreich könnte nunmehr den Start der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei blockieren. Dem Vernehmen nach steigt der Druck auf Österreich, bei Verschiebung der Verhandlungen mit Zagreb auf eine striktere Einhaltung der Menschenrechtskriterien gegenüber der Türkei zu pochen, hieß es in EU-Kreisen gegenüber der APA. (APA)