Wirtschaft und Crashtests: Ein Moment aus Gerhard Friedls "Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen?", am Dienstag um 21.00 bei der Diagonale.

Foto: Real Fiction
I hurt myself today / To see if I still feel / I focused on the pain / The only thing that's real

Das ist eine Tirade. Eine Gruppe von gleich gebauten, sich aufeinander reimenden Versen. Johnny Cash hat sie auf seiner letzten CD gesungen. [Anm.: geschr. v. T. Reznor, "Nine Inch Nails"] Cashs Stimme riss den Bilderstrom, in dem ich durchs Leben schwimme, auseinander. Ich sitze am Ufer, starre auf das Loch in den Fluten und rede darüber.

Die Champions League gilt als Musterbeispiel eines internationalen sportlichen Wettbewerbs. Die Geburtsidee der Champions League ist eine europaweite Werbeplattform, auf der halt auch Fußball gespielt wird. Nicht die Unvorhersehbarkeit des sportlichen Wettkampfes ist ihr Anliegen, sondern die Vorhersehbarkeit der Werbebotschaft.

Das Leitmotiv der Veranstaltung ist ein herrschaftliches. Die vom Fußball erregte bewegliche Begeisterung wird im Sinne von Josef Haslingers Politik der Gefühle dazu benutzt, das Produkt mit dem im Fernsehsessel sitzenden Umworbenen zu verknüpfen. Der Fußball schafft den emotionalen Mehrwert, eine Umgebung des Wohlfühlens. Der Sport ist ein idealer Rohstoff der Öffentlichkeitsindustrie.

McDonald's finanziert die Challenge 2008 des ÖFB mit und erreicht dank der ÖFB-Kicker mit seinen Bildern direkt die Kinder. Anderswo werden Kinder durch Werbebeschränkungen gerade im Sport ein wenig geschützt. In Österreich veranstaltet Bildungsministerin Gehrer mit Coca-Cola Lese-Fit und Fit-Mach-Mit-Aktionen in den Schulen. Ich sage das als Journalist und im Bewusstsein, dass Bilder die beste Chance bieten, um eine Gegenwelt zu den Werbe-Bildern herzustellen. Ich denke an Michael Glawoggers Megacities, an Hubert Saupers Darwin's Nightmare, an Kurt Mayers Erik(A), an Supersize Me oder Fahrenheit 9/11.

Diese Bilder nehmen am Wettbewerb der Medienwelt auch teil, aber sie unterwerfen sich nicht so gnadenlos einem einzigen Zweck: von möglichst vielen Menschen gekauft zu werden. Die Texte in den Zeitungen nehmen den Charakter von Bildern an. Sie werden dadurch lesbarer, sagen deren Herausgeber. Der Klub der öffentlichen Bilder hat die Champions League der Argumentationssysteme gewonnen. Heute heißen Bilder auch Homepages. Sie sind sauteuer. Aber sie wirken.

In gesegneten Momenten also reißt der Bilderstrom und gewährt einen Blick in die Tiefe des Raums dahinter. Während der Ski-WM in Bormio streikten die Kameraleute der Rai. Ein Skirennen konnte nicht übertragen werden und wurde prompt abgesagt. Wozu einen Weltmeister in einer Disziplin küren, die nicht im Fernsehen ausgetragen wird?

Die Aufmerksamkeit wurde unversehens auf das Geschiebe tief unten im Bett des Bilderstroms gelenkt, auf den Kampf der Kameraleute gegen Lohnkürzungen und ihre Angst vor der Entlassung. Die Bildermacher der Rai reagierten mit Entrüstung und der Drohung, den entstandenen Schaden von den Streikenden zurückzufordern. Die anderen Medien, ihrer schönen Bilder entbehrend, verurteilten unisono die Störenfriede. Einen Tag später herrschte Bilderbusiness as usual. Wie der Arbeitskampf der Kameraleute ausgegangen ist? Keine Ahnung. Er war nicht mehr im Fernsehen, also war er nicht.

Das wahre Bild aus dieser wahrhaften Bilder-Welt kommt mit der Wucht der Offenbarung daher. Der Olympismus wirkt neben dem Fußball als der gute, säkulare Apostel einer erlösungsgierigen Welt. Er wird überwiegend vom US-TV-Sender NBC finanziert. NBC gehört dem weltgrößten Konzern, General Electrics, der auch der größte Rüstungskonzern der Erde ist.

Wie räsoniert man mit einer schönen Oberfläche? Im Gedankenjahr 2005 werden die Helden versammelt. In der Nachkriegszeit waren sie Ingenieure, heute sind sie Manager, die vom Konzern über die Pensionen bis zum Fußballklub alle Bereiche des Lebens sanieren.

Als die Wiener Austria den ehemaligen Stürmer Anton Polster, der noch nie einen Betrieb geführt hatte, als General Manager installierte, begründete sie dies so: Polster ist ein alter Austrianer, ein Urgestein, er hat das Herz am rechten Fleck, er kann gut mit den Fans. Hier läuft ein unstatthafter Transfer von Tugenden. Nicht nur im Fußball, nur ist die Mechanik hier leicht erkennbar. Ich glaube, dass mit dieser Methode die Verwirklichung konkreter gesellschaftlicher Ziele verschleiert wird.

Im Sommer des vergangenen Jahres wurde bekannt, dass die Gewinne der großen Unternehmen sich sprunghaft erhöht hatten, bis zum Vierfachen. Zur gleichen Zeit forderten sie, dass die Menschen länger arbeiten müssten, um die Wettbewerbsfähigkeit genau dieser Unternehmen zu sichern. Kaum eine Zeitung, kaum ein TV-Sender, der nicht zustimmte. Die Rationalisierer kommen auch deshalb ohne nennenswerten Widerspruch davon, weil sie sich auf die Wundergläubigkeit und Angst des Publikums verlassen können. Eine Methode, die im Sport studiert werden kann, dem Reservoir der naiven Bilder.

Hans Krankl, Anton Polster, Vagn Sörensen oder Frank Stronach: ihre Qualitäten liegen in einem pseudoerlöserisch verklärten Bereich. Dort dringt keine Kritik hin, dort ist Anbetung und Gefolgschaft gefragt. Wir erleben den Anbruch einer zweiten feudalistischen Ära, des Feudalismus der Macher und Manager. Der Verweis auf den freien Markt wirkt analog zum Verweis auf das Gottesgnadentum. Besser keine Arbeit als keinen Glauben an die Unternehmer. Kollektivverträge und andere kanonisierte Rechte der Arbeitnehmer sind Hindernisse im Geschäftsleben. Sie schränken die unternehmerische Freiheit ein, werden als verzopft, unsittlich, böse bezeichnet. Die Gnade des Unternehmers ersetzt das Recht des Arbeitnehmers. Pflichterfüllung und Weiterbildung schaffen noch keinen Anspruch auf bessere Entlohnung, sondern erst der Segen des Chefs. Das Recht geht tendenziell nicht mehr von allen, sondern von einer immer kleiner werdenden Gruppe aus.

Präzise so funktioniert der Spitzensport, der Flachbildschirm der Gesellschaft. Ein Regelwerk legt die Bewegungsfreiheit des Einzelnen fest, analog dem Arbeitsvertrag. Im großen Zusammenhang ergänzt die Macht die Regeln zu ihren Gunsten. Den Schwachen, aus der Ellbogengesellschaft Gefallenen, bleiben Almosen. Die Fördergelder und Entwicklungsprogramme der UEFA oder die Zuschüsse der Weltbank, in beiden Fällen an die brave Unterwerfung unter die Regeln geknüpft. Wer's nicht glaubt, bleibt arm und unselig.

Der Held triumphiert und badet im Schmerz. Johnny Cash würde es so sagen: And you could have it all / My empire of dirt / I will let you down, / I will make you hurt (DER STANDARD, Printausgabe, 15.03.2005)