Ihrer Funktion entledigte, menschenleere Verkehrswege entwickeln Eigenleben: "Luukkaankangas; updated; revisited" von Dariusz Krzeczek.

Foto: Diagonale
Mit elf Programmen ist das Kurzfilmschaffen auf der diesjährigen Diagonale besonders stark vertreten. Vier Arbeiten davon stehen repräsentativ für die verschiedenen Formate: Sie alle nähern sich Themen wie Einsamkeit und Entfremdung an - freilich auf unterschiedliche Weise:

Entfremdung stellt sich am Arbeitsplatz ein, ist durch körperliches Anders-Sein bedingt oder wird durch die Zweckentfremdung von bereits vorhandenen (Film-)Material erreicht. Das Ausgangsmaterial von Luukkaankangas; updated; revisited ist denkbar trivial: Zur Verkehrsüberwachung eingesetzte Kameras liefern statische Bilder von Straßen. Was in Dariusz Krzeczeks Bearbeitung davon übrig bleibt, sind Einzelbilder, in denen das, was überwacht werden soll, weitgehend ausgeräumt ist. In ihrer raschen Abfolge werden die leeren Straßen durch den Wechsel von Tag und Nacht und das Aufeinanderfolgen der Jahreszeiten belebt.

Abstraktes Eigenleben

Wechselnder Lichteinfall zeichnet Muster auf ihre Oberfläche, Schneeverwehungen lassen sie bisweilen ganz verschwinden. Schnee, der sich an ihren Rändern häuft macht, sie schmäler - der Frühling gibt ihnen ihre ursprüngliche Form zurück. Die Spuren, die die Natur auf den Straßen hinterlässt, lässt sie zucken und pulsieren oder sich wie Wellen bewegen. Die Verkehrsadern, die ihrer Funktion entledigt sind, entwickeln als abstrakte Kurven und Linien ein Eigenleben. Das Gefühl der Einsamkeit, das diese menschenleeren Straßen vermitteln, wird durch die Kamera verdoppelt, die von niemanden geführt wird.

Doppelung, oder besser Spiegelung ist das zentrale Motiv von Siegfried A. Fruhaufs Mirror Mechanics. Eine Frau blickt in einen Spiegel: Ihr Gesicht spiegelt sich darin und wird gleichzeitig entlang einer Längsachse verdoppelt. Ein Rauschen und Knarren auf der Tonebene suggeriert Bedrohung, immer wieder dreht sich die Frau um, verunsichert und ängstlich, doch jedes Mal kann sie nur sich selbst sehen, während sie dem Blick der Kamera ausgesetzt ist, der mit der Dauer des Films immer gnadenloser wird.

Ausgesetzt ist auch Katherine Devoir: ihrer Krankheit ebenso wie dem Blick der Kamera, mit deren Hilfe sie ihre Veränderung festgehalten hat. Exposed ist eine 40-minütige Dokumentation von Heidrun Holzfeind, die Katherines eigenes Videomaterial mit neu gedrehtem kompiliert. Katherine ist Mitte Dreißig, sie war früher Tänzerin und hat in New York gelebt. Jetzt zwingt sie ihre Krankheit zum absoluten Rückzug.

Erzwungener Rückzug

Katherine leidet unter MCS, Multiple Chemical Sensitivity. "I am not sensitive I am sick", berichtigt sie diese Diagnose, denn alle denkbaren Chemikalien verursachen bei ihr Atemnot, Schwellungen und chronische Müdigkeit - und Chemie steckt überall: in Teppichen, Sofabezügen, Nahrungsmitteln oder Kosmetika. Man kann sagen, dass Katherine auf die Welt, in der sie lebt, allergisch ist.

Sie ist unfähig zu arbeiten, sie kann nicht dort wohnen, wo sie gerne möchte. Als Einsiedlerin wider Willen lebt sie von der Sozialhilfe in einer ländlichen Umgebung. Katherine hat sich immer wieder selbst gefilmt, in früheren Jahren hat sie vor der Kamera getanzt, die Videos der jüngeren Zeit werden immer mehr zu Dokumenten ihrer Einsamkeit und Verzweiflung.

Das Thema Einsamkeit behandelt auch der Kurzspielfilm ausgenommen anna der Filmakademiestudentin Libertad Hackl. Zu Beginn des Films sitzt Anna alleine in ihrem Büro. Vom Gang sind Stimmen zu hören, bevor sie ganz an ihr vorbeigezogen sind, steht sie auf und verlässt den Raum. Die anderen wären auch ohne sie gegangen. Annas Kollegen feiern in einer Karaokebar, alle haben Spaß - Anna ausgenommen. Als sie an der Reihe ist zu singen, werden die Stimmen wieder laut: Es hört ihr keiner zu.

ausgenommen anna erzählt exemplarisch und skizzenhaft von Ausgrenzung und Mobbing. In kurzen Szenen, zwischen Arbeitsplatz und After-Work-Party, wird weniger die Titelgebende Anna, sondern vielmehr die Distanz zwischen ihr und den anderen porträtiert. (DER DIAGONALE STANDARD, Printausgabe, 15.03.2005)