Jörg Kalts Crash Test Dummies führt diese Personen ein paar Tage lang zusammen, lässt sie glücklich sein, auf die Nase fallen und spinnt zwischen ihnen ein feines freundschaftliches Gewebe. Frühere Arbeiten des Absolventen der Wiener Filmakademie - etwa die sympathisch versponnene Romantic Comedy Richtung Zukunft durch die Nacht - waren weit stärker von einem Hang zu surrealen Erzählungen geprägt. Dass diese Elemente diesmal eher hintergründig zum Tragen kommen, hat unter anderem mit der Entwicklung des Projekts zu tun:
Kalt: Das Buch ist anders entstanden. Ursprünglich habe ich es nicht für mich geschrieben, sondern mit und für Antonin Swoboda entwickelt, der auch die Grundidee hatte. Als dann klar war, dass er es nicht machen will, habe ich versucht, die Elemente, die nicht meine sind, abzuschwächen oder zumindest mit anderen aufzufüllen.
STANDARD: Wieso meinen Sie, dass Sie selbst nicht unbedingt auf diesen Stoff gekommen wären?
Kalt: Ich würde wahrscheinlich grundsätzlich von einer weniger weitläufigen Idee ausgehen, eher von einer Idee, in der schon ein stärkeres Gerüst steckt und konkretere Dinge, die ich dann entwickeln kann.
STANDARD: Aber das Motiv der Crash Test Dummies hat doch solche Züge? Das zieht sich ja gewissermaßen wie eine Versuchsreihe durch den Alltag. . .
Kalt: Ja, ich wäre wahrscheinlich eher von so einer Idee ausgegangen. Aber hier ist das viel später entstanden. Ich habe einen Fernsehbericht über menschliche Crash Test Dummies gesehen, recherchiert und dann ist mir aufgefallen, dass sich von diesem Motiv ausgehend Querverbindungen herstellen lassen.
STANDARD: Andererseits unterhält der Film auch so eine Art Verwandtschaftsbeziehung zum österreichischen Kino der vergangenen Jahre . . .
Kalt: Ich sehe das nicht wirklich so. Dass beispielsweise Barbara Albert mitspielt, ist für mich kein Verweis auf Nordrand oder Böse Zellen. Ich kenne sie gut, sie hat schon in Richtung Zukunft gespielt und ich wollte sie in einer größeren Rolle ausprobieren. Bei Richtung Zukunft war ich sehr frei im Denken, und fand es nicht nötig, den Film in einer Zeit oder einem Ort zu festigen. Crash Test Dummies hat andere Bezüge zur Wirklichkeit, ist sicher realistischer, das liegt auch an der Entstehungsgeschichte.
Kalt: Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann. Ich denke, hier haben sehr viele Leute eine gewisse Scheu vor dem Wort Konstruktion. Ich persönlich habe damit nicht so große Probleme. Weil ich auch nicht unbedingt ins Kino gehen muss, um mir Realität anzuschauen. Ich nehme das Kino als das, was es ist, nämlich eine andere Art von Realität, in der eben andere Regeln herrschen.
In meinem Film gibt es Szenen, bei denen ich das Gefühl habe, da wird etwas beschrieben, das realistisch ist - zum Beispiel in der Szene, in der die Kassierin dauernd "Flaschenzettel" wiederholt: Das könnte man auch so enden lassen, dass man's 30 Mal wiederholt, dann steht das für die Mechanisierung der Arbeit. Oder man kann die Figur merken lassen, dass das, was sie sagt, immer sinnloser wird. Dann kann sie sich darüber erheben beziehungsweise darüber lachen. Das gefällt mir ganz gut, wenn das über eine Art von Zustandsbeschreibung hinaus geht.
STANDARD: Das heißt, man gesteht der Figur ein Bewusstsein zu, anstatt selbst als die Instanz aufzutreten, die über dieses Bewusstsein verfügt.
Kalt: Man muss die Figuren ernst nehmen. Es gibt immer wieder Momente im Kino, wo man sich denkt, "Mein Gott, tu etwas, Figur!" Sie tun dann nichts oder das Falsche, weil es die Dramaturgie so vorschreibt. Das ist wahrscheinlich der Rösselsprung: einerseits eine Figur ernst zu nehmen und ihr Eigenleben leben zu lassen, und sie gleichzeitig in einer Geschichte zu erzählen, in der sie dann auch dramaturgisch funktioniert. Das habe ich bei diesem Film gemerkt, vielleicht weil zum ersten Mal die Idee nicht das Übergeordnete ist, dass Figuren auch Freiheiten haben, sich ein bisschen bewegen, auswuchern können.
STANDARD: Sie wissen also nicht mehr als Ihre Figuren, aber es bereitet Ihnen schon ein gewisses Vergnügen, sie auch mal ausrutschen zu lassen . . .
Kalt: Naja, ich rutsch ja auch aus. Ich bin selbst ungeschickt - warum sollte es ihnen besser gehen als mir? Nein, aber das macht eine Figur lebensechter und liebenswerter, wenn sie auch mal umfällt, so lange sie daran nicht zerbricht und wieder aufsteht.
Sa. (19.3.), Royal, 15.30 Uhr (DER DIAGONALE STANDARD, Printausgabe, 15.03.2005)