Generation mit diffusem Anliegen: Peter (Stipe Erceg), Jan (Daniel Brühl) und Jule (Julia Jentsch), das Trio in Hans Weingartners "Die fetten Jahre sind vorbei"

Foto: Filmladen
Wien - "Sie sind zu reich." Die Botschaft ist klar: Die Aktionen der beiden Burschen, die sich "Die Erziehungsberechtigten" nennen, richten sich gegen jene, die zu viel Besitz angehäuft haben. Jan (Daniel Brühl) und Peter (Stipe Erceg) brechen in der Nacht in Luxusvillen in Berlin-Zehlendorf ein. Sie nehmen nichts mit, sondern bringen die Dinge in Unordnung: Aus Stühlen und Tischen werden so kleine Monumente des Protests. Das tut nicht weh, verärgert aber. Gewaltfreier Widerstand als politisches Privatissimum.

Die fetten Jahre sind vorbei, der Titel von Hans Weingartners Film, ist eine andere Losung, die am Tatort hinterlassen wird. Diese lässt sich auch von oben nach unten lesen: als Rechtfertigung dafür, den Gürtel enger zu stellen, weil die Mittel für Sozialleistungen versiegen. Jan und Peter – und bald auch Jule (Julia Jentsch), die aus dem Aktivistenduo ein romantisches Trio macht – wollen sich damit nicht abfinden. Der Antiglobalisierungsbewegung gehören sie nur am Rande an. Sie bilden kein Kollektiv, sondern einen Freundschaftskreis, der aus ähnlichen Erfahrungen von Ungerechtigkeit gestärkt wird.

"Der Film ist eine Art Erörterung verschiedener Möglichkeiten, politisch aktiv zu werden", meint Weingartner im STANDARD-Interview: "Wir haben uns dabei weniger überlegt, was es die letzten zwanzig Jahre gegeben hat: die RAF, die 68er, die Grünen ... Er ist mehr so ein Sammelsurium dessen, was ich in meinem Leben erfahren habe. Grundsätzlich geht es um die Frage, wie man in einem System, in dem es keine Tabus mehr gibt, als junger Mensch seinen rebellischen Trieb noch ausleben kann. Ich halte das für sehr wichtig und meine, dass jede Gesellschaft diese Erneuerung braucht."

Die fetten Jahre sind vorbei, der als deutscher Beitrag eines österreichischen Regisseurs dieses Jahr in Cannes viel Beachtung fand, trifft damit gewiss einen Nerv: Nach etlichen Filmen über radikale Bewegungen der Vergangenheit schaut sich hier einer in der Gegenwart um. Damit der Protest seiner Figuren legitim erscheint, führt Weingartner Differenzierungen ein. Nicht immer erscheinen sie stimmig: Klassenkonflikte sollen versnobte Restaurantkunden veranschaulichen, die ein anderes Glas einfordern.

Nach einem Unfall steht Jule außerdem in der Schuld eines reichen Mercedes-Fahrers. Gemeinsam mit Jan bricht sie spontan in dessen Villa ein. So wird aus dem diffusen Gefühl, gesellschaftlich benachteiligt zu sein, ein persönliches Anliegen; und aus einer ein wenig naiven Pose ein politischer Akt. Die beiden werden von Hardenberg (Burghart Klaußner), dem Hausbesitzer, ertappt. Sie nehmen ihn als Geisel, ohne genau zu wissen, was sie eigentlich erpressen wollen.

Zufällig radikal

Die Radikalisierung der Erziehungsberechtigten erfolgt damit eher zufällig, bietet in der Folge aber die Freiheit, aus mehreren Handlungsmöglichkeiten zu wählen. Weingartner geht es dabei immer mehr darum, einen bestimmten Gestus zu affirmieren, als Modelle auszutesten:

"Hardenberg ist für mich wie ein Prüfstein für die drei: Sie werden durch ihn herausgefordert, ihre Ideale zu überprüfen. Ein anderer wichtiger Punkt war für mich: Ich glaube nicht, dass es so etwas wie eine private Revolte gibt. Die kann sehr schnell öffentlich werden. Und man muss als junger Mensch aufpassen, dass man sich nicht von der Reaktion einreden lässt, dass jede Kritik konstruktiv sein muss. Das ist totaler Bullshit."

Die Dynamik zwischen Aktion und Reaktion steht auch im Mittelpunkt des weiteren Geschehens: Auf einer Almhütte treten Entführer und Entführter in ein Kammerspiel über, und der dynamische erste Teil mündet in ein komisches Beziehungsdrama, in dem Gefühle und Generationen sanft kollidieren. Der Industrielle Hardenberg entpuppt sich hier als Alt-68er, der seine Geiselhaft immer mehr als willkommene Auszeit genießt.

Umso schwieriger wird es für das Trio, sich von ihm abzusetzen und den eigenen Standpunkt zu legitimieren: "Das ist für mich die neue Form von Generationenkonflikt", meint Weingartner dazu: "Es gibt nämlich gar keinen Konflikt, was das eigentlich Perfide daran ist. Papa kommt und fragt, wo du deine zerrissenen Hosen gekauft hast, weil er sie auch haben will. Die große Herausforderung für die drei liegt darin, zu durchschauen, dass Hardenberg keiner von ihnen ist, obwohl er so ein freundliches Gesicht macht."

Praxis und Nostalgie

Es ist diese Aufgabenstellung, die in Die fetten Jahre sind vorbei vielleicht am eindrücklichsten gelingt. Die anfänglich etwas hohlen Parolen der Jugendlichen müssen sich nun in der Praxis bewähren. In Hardenberg, der seine radikale Jugendzeit auf nostalgische Erinnerungen durchzechter Abende beschränkt, haben sie einen Gegner vor sich, dessen Biografie sie zu wiederholen drohen.

"Wie starte ich eine Revolution, wenn es keine Massenbewegung mehr gibt und ich das mit meinen Freunden anfangen muss? Soll ich das überhaupt tun?" Die Frage hält den Film bis zuletzt in Bewegung, beantwortet wird sie nur in einem sehr allgemeinen Sinn: als Abgrenzung einer Generation von der anderen, die auf keine Idee, sondern auf eine erweiterte Geste der Verweigerung setzt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25.11.2004)