US-Dirigent Andrew Litton

Foto: Sherman
Wien - Wird die Neue Welt auf ernstmusikalischem Gebiet seit Jahrzehnten hauptsächlich von europäischen Köpfen angeleitet, so ist der Fall Andrew Littons einer der ersten, der den interkontinentalen Kulturtransfer in die Gegenrichtung vorantreibt: Der 45-jährige Amerikaner ist Chefdirigent des Bergen Philharmonic Orchestra, das immerhin schon 1765 gegründet wurde.

Wie ist es denn so als Amerikaner in Norwegen, Herr Litton? "Gorgeous!", schwärmt Litton mit US-amerikanischer Emphase, es gäbe wunderbare Berge und ein wunderbares Meer, die Menschen seien nett, jeder könne Englisch, und so kalt sei es auch wieder nicht: In Dresden, wo er unlängst gastiert habe, sei es um kein Grad wärmer gewesen als sonst so in Bergen.

Wie kam es zu seinem skandinavischen Engagement? Er wäre 1998 als Gastdirigent in Bergen gewesen, erzählt Litton, und schon bei der ersten Probe habe "die Chemie gepasst". Er wäre dann gleich in der nächsten Saison wieder eingeladen worden, dann noch einmal, und irgendwann wäre das Orchester dann mit dem Wunsch an ihn herangetreten, sein Chef zu werden. Da Litton schon Erfahrung als Langzeit-Orchesterleiter hat: Wie lange braucht es denn, den Charakter, die Spielkultur eines Orchesters zu prägen?

"Eine Woche - oder zwei Jahre", meint Litton wie aus der Pistole geschossen. "Kommt man als Gastdirigent, hat man vier Proben, um zu seinem Ziel zu kommen. Das geht. Man muss mit seinen Anweisungen, seiner Körpersprache alles klar machen. Aber auch langfristig: Es muss die konkrete Probenarbeit sein, die die Richtung vorgibt. Diskussionen mit dem Orchester bringen da nichts. Das ist der Tod der ganzen Sache."

In Bergen hält sich Litton acht Wochen im Jahr auf - mit großem Spaß. An den knapp 100 Musikern des Orchesters - 40 Prozent von ihnen kommen aus dem Ausland, insgesamt sind 15 Nationalitäten vertreten, das Durchschnittsalter ist mit 35 Jahren sehr niedrig - schätzt er die Professionalität, den ständigen Einsatz: "Keiner lehnt sich zurück, nie. Jeder kommt perfekt vorbereitet zur Probe. Es ist wundervoll."

Wundervoll auch die finanzielle Situation: Das Orchester wird zu 95 Prozent vom Staat finanziert. Da ist die Situation in Amerika anders: Sein Dallas Symphony Orchestra erhält exakt null Dollar von der öffentlichen Hand. "Fünfzig Prozent des Budgets werden durch Karteneinnahmen finanziert, der Rest durch Sponsoren. Das beeinflusst natürlich die Programmgestaltung: Da wird schon mal ein Barber abgesetzt und ein Haydn reingenommen, damit die Besucherzahlen stimmen."

Beim bis inklusive Montag laufenden Jeunesse-Gastspiel im Konzerthaus präsentierten Litton und das BPO selbstredend auch Werke von norwegischen Komponisten, aber auch traditionelles Standardrepertoire: "Sollen wir uns wirklich trauen, hier eine Beethoven-Symphonie zu spielen, hat mich das Orchester gefragt? Ich habe gesagt: aber sicher. Wir machen das." Heute die Siebente. Wien sieht sich als die heimliche Welthauptstadt der Musik. Wird das von der Rest-Welt denn auch so gesehen? "Klar. Wien ist nicht die Welthauptstadt, Wien ist das Mekka der Musik. Wer hier alles gelebt hat: unglaublich!" (end/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14. 3. 2005)