Der Albertina-Platz mit dem völlig zerstörten Philipp-Hof und der Staatsoper nach dem Bombenangriff vom 12. März 1945. Das Foto machte Erich Lessing. Es stammt aus dem eben im Verlag der Metamorphosen erschienenen Band "Von der Befreiung zur Freiheit".

Foto: Erich Lessing

Wolfgang Lorenz: "Wir können nicht mehr sein als Kleiderhaken für Gedanken . . ."

Foto: Andy Urban

Und verwehrt sich im Gespräch mit Claus Philipp und Thomas Trenkler gegen den Vorwurf, ein Regierungsprojekt zu betreiben.

STANDARD: Was verbinden Sie aufgrund eigener Erfahrungen mit diesem Jubiläumsjahr?

Lorenz: Ich wurde zwar erst 1944 geboren, aber ich habe persönliche Assoziationen – über meinen Großvater, der sich als Stadtkommandant von Graz geweigert hat, die Fahne, auf die er als Militär nicht geschworen hat, aufzuziehen. Er war einer der ersten, der in der Stadt der Volkserhebung zum Tode verurteilt wurde. Das Urteil wurde Gott sei Dank zwar nicht vollstreckt. Aber innerlich war mein Großvater, äußerlich ein stattlicher General, zerstört. Das haben wir schon als Kinder bemerkt.

Ansonsten hatte ich das Glück, in einer garantiert nazifreien Familie aufzuwachsen. Ich war mir relativ bald dieser Gnade bewusst. 1962 kam ich nach Wien und wohnte erstmals in meinem Leben in einem Mietshaus. Und da gab es schon Hinweise, dass diese Nachbarin oder jener Nachbar am Dachboden versteckte Juden verraten hat. Ich habe mich bis heute nicht daran gewöhnt, in einer Stadt zu leben, in der das alles passiert ist.

STANDARD: Was sagen Sie zu der Definition von Andreas Khol, nach der Österreich ein Opfer war, auch wenn "viele seiner Bürger Täter" gewesen seien?

Lorenz: Diese durchaus ambivalenten Täter-Opfer-Fragen können wir nicht mit Projekten im öffentlichen Raum klären. Das ist auch nicht unser Job. Österreich kann sich aber mit Sicherheit nicht auf eine Opferrolle zurückziehen.

STANDARD: Welche Funktion würden Sie denn gerne mit Ihren Aktionen übernehmen?

Lorenz: Wir können nicht mehr sein als Kleiderhaken für Gedanken, die sich mündige Bürger selber machen müssen. Wir laden vor allem die Jungen ein, sich mit Themen wie Freiheit und Unfreiheit, Krieg und Frieden auseinander zu setzen. Was heißt heute "Österreich ist frei"? Die Jungen haben glücklicherweise nichts anderes als Freiheit und Demokratie kennen gelernt. Daher finde ich schon, dass man mit Bildern und Tönen erinnern soll: Es ist kein Spiel, was wir hier betreiben. Das ist eine ernste Geschichte.

STANDARD: Zumindest mit den Projekten am 12. März wird aber nur die Opferfrage erörtert, Österreich als Täter hingegen wird nicht thematisiert.

Lorenz: Dieses Grundmissverständnis begleitet uns nun seit Beginn des Projekts: Man belastet uns mit offenen Fragen in einem Ausmaß, dem wir nicht gewachsen sind. Wir sind Teil eines großen Ganzen zum Gedankenjahr, die 25Peaces sind nur Bausteine eines Mosaiks. Wir können nur über Terror berichten – über NS-Terror am Boden und über den Terror, der aus der Luft gekommen ist durch die Bombenangriffe der Alliierten. Man kann doch nicht im Jahr 2005 ernsthaft an der Täterrolle Österreichs in diesem grausamen Spiel zweifeln!

STANDARD: Ihr Projekt kam unter erheblichem Zeitdruck zustande. Einige "Peaces" wurden korrigiert oder abgesagt.

Lorenz: Wir haben immer von einem "Work in Progress" gesprochen. Aber ja: die Zeitknappheit war groß. Wir hatten nicht die Möglichkeit, Projekte mit Künstlern in Ruhe zu erarbeiten. Das bedauere ich.

STANDARD: Sie erwähnten einmal auch "Berührungsängste".

Lorenz: Ja, nicht nur die österreichische, sondern auch eine internationale Künstlerschaft hat gewisse Schwierigkeiten mit der politischen Konstellation – aus dem Missverständnis heraus, es handle sich um ein Regierungsprojekt . . .

STANDARD: Der Auftrag ging doch vom Kanzler aus . . .

Lorenz: Es gab keinen Auftrag. Es gab eine Einladung, sich etwas für den öffentlichen Raum einfallen zu lassen, weil man zu spät darauf gekommen ist, dass für das Gedankenjahr eine Drehscheibe der Kommunikation fehlt. Schüssel hat uns zum Start Geld gegeben, aber was Sie jetzt sehen werden, sind unsere Ideen.

STANDARD: Sie haben dem Kanzler jedenfalls Blumen gestreut: Er sei ein spielfreudiger, kreativer Mensch . . .

Lorenz: Ehre, wem Ehre gebührt. Es war zumindest mir vorher nicht vorstellbar, dass das Interesse eines Bundeskanzlers so weit geht, dass er zwei Stunden lang dafür sorgt, dass das Handy nicht läutet, dass keiner bei der Tür hereinkommt, und dass er beginnt, selbst Ideen beizusteuern. Das ist wohl in keinem anderen Land der Welt vorstellbar.

STANDARD: Man könnte nun vermuten, dass diese Sympathie für Schüssel auch für einen möglichen neuen ORF-Generaldirektor Wolfgang Lorenz Früchte tragen könnte.

Lorenz: Das ist eine völlig unsinnige Ansage. Entschuldigen schon: Man könnte ja zuerst auch einmal mich fragen, ob ich überhaupt Lust hätte.

STANDARD: Hätten Sie Lust?

Lorenz: Nein. Ich will hier aber kein ORF-Gespräch führen.

STANDARD: Was ist bei der Absage des McCare-Projekts mit McDonald's passiert?

Lorenz: Der kommerzielle Effekt unserer Aktion war den Franchisepartnern wohl nicht groß genug. Wir dachten zuerst, dass McDonald's diesbezügliche Interessen in den Hintergrund stellt und echtes Sponsorship betreibt. Dem war letztlich nicht so. Das ist kein Malheur, für Sie wohl erst recht nicht, weil ja DER STANDARD das Projekt immer besonders scheußlich fand.

STANDARD: Ja. Apropos Kritik: Sie sagten: "Man hat uns gehaut, aber andere damit gemeint." Wir haben mit der Kritik exakt Sie gemeint.

Lorenz: Es ist aber das passiert, was ich vorher in keinster Weise gewittert hatte: Die Gesamtaktivitäten 2005 waren nicht konzertiert. Die Regierungs- und Oppositionsparteien hatten kein gemeinsames Szenario entwickelt. Vor diesem Hintergrund wurde vieles von dem, was wir planen, in Geiselhaft genommen, um dem politischen Gegner eins auszuwischen. Und was die Kritiker betrifft: Sie haben sich monatelang auf ein altes Konzeptpapier bezogen, das uns irgendwann selbst unerträglich war. Natürlich haben wir weitergedacht, und diese Konzepte werden wir jetzt realisieren – definitiv nicht nach Auftrag des Kanzlers.

STANDARD: Haben Sie, wenn Sie etwa die "25peaces" in EU-Aktionen gipfeln lassen, nicht doch das Gefühl, Regierungs-PR zu machen? Was haben Bombennächte mit dem kommenden EU-Vorsitz zu tun?

Lorenz: Nichts! Das sind zwei verschiedene Paar Würstel...

STANDARD: ...unter einem Logo.

Lorenz: Ja. Aber ich finde es ganz gut, dass man, wenn man sich mit Europa beschäftigt, öffentliche Akzente setzt. Was daran Regierungspropaganda sein soll, verstehe ich nicht. Ich glaube, dass wir uns heute nicht nur in Retro-Szenarios aufhalten können. Immer nur "No Future" und "Täterkinder" und Schuldgefühle? Den nächsten Generationen muss man den Albtraum nehmen. (DER STANDARD, Printausgabe, 12./13.03.2005)