KIWI
derStandard/Hammer
Eva Menasse war bisher vor allem durch ihre journalistischen Beiträge bekannt und legt nun mit "Vienna" ihren Debütroman vor. Damit erreicht sie neben unglaublich hohen Auflagenzahlen - der Verlag Kiepenheuer & Witsch produzierte eine Erstauflage von 50.000 Stück - auch eine Nominierung für den "Preis der Leipziger Buchmesse".

Der Beginn des opulenten Werkes führt bereits mitten in die Geschichte und ihre Verstrickungen. Die Sturzgeburt des Vaters und die daran anschließende Auseinandersetzung der Großeltern zeichnet ein illustratives Bild der herrschenden Besetzung. Da die Familie Menasse einigermaßen über die Genregrenzen hinweg bekannt ist - der Vater, Hans, ein Fußballstar, Bruder Robert umstrittener und gefeierter Schriftsteller, wird zudem eine harmlose Form des Voyeurismus bedient.

Der Roman spielt mit Anklägen an diese Herkunftsfamilie. Eva Menasse entwirft neben schwer erträglichen Tanten auch die vielschichtigen Figur Adolf (Dolly) Königsbe(e)rg, die Dummheit, Genialität und zeitlosen Unterhaltungswert verkörpert. Die Autorin bewegt sich scheinbar mühelos in den Jahrzehnten der Nachkriegsgeschichte. Daneben sprengen sensible Beschreibungen das oberflächlich Anekdotische. Dynamik bezieht die Geschichte durch die Entwicklung ihrer ProtagonistInnen.

Vater und Onkel, beide als Kinder nach England verschickt, um der Ermorderung durch die Nationalsozialisten zu entgehen, werden dichotom gezeichnet. Der Vater bleibt um Normalität bemüht, ob als gedemütigter Emigrant und Zeitungsjunge oder als Fussballstar und Tennisspieler. Onkel Bert dagegen kämpfte in der britischen Armee. Er kommt nicht als Befreier nach Wien zurück - auch später wird er keiner sein, dessen Wünsche in Erfüllung gehen - doch in seiner Sicht auf gesellschaftspolitische Ereignisse und Entwicklungen ist er konsequent, unnachgiebig. Ihm steht das kollektive Angebot des Vergessens und Verdrängens nicht zur Verfügung, sein Ausdruck von Verzweiflung muss zumindest von den beiden Söhnen ertragen werden.

Jene beiden Frauenfiguren, die der Ich-Erzählerin nahe stehen, werden in herausragenden Kapiteln ungeschönt portraitiert, analysiert. Für entferntere bleibt nur ein herausragendes Detail, etwa die Bridgeleidenschaft der Großmutter oder die großen Hüte und der dicke Hund der Tante Ka. Die vorgeführte Geschlechterdichotomie mündet konsequent in das Vergessen weiblicher Persönlichkeit; exemplarisch wird dieser Umgang an der Schwester des Vaters gezeigt: sie soll sehr schön gewesen sein und starb irgendwann in Kanada, die Familie kann nicht einmal die Todesursache erinnern.

In den Kapiteln "Opfer & Täter" und "Die Erbin" wird der missglückte - nach außen völlig untadelige Lebensentwurf von Mutter und Schwester akribisch, introspektiv beschrieben. Die Ich-Erzählerin erkennt die Verhältnisse und distanziert sich von diesen weiblichen Entwürfen. Sie ergreift die Macht der Erzählung, zeigt die gängigen Formen familiärer Unterhaltung und blickt zugleich hinter das Gefüge lange währender Beziehungen. Diese Distanzierungen der Ich-Erzählerin machen zusammen mit dem souveränen Einsatz des Personeninventars auch die formale Lösung des Romans interessant.

Eva Menasse bietet den LeserInnen ein vielschichtiges, kluges und unterhaltsames Werk, das uns auf weitere Romane der Autorin warten lässt. (her)

-->Hier geht's zum Gewinnspiel