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derStandard.at/Uni: Was bedeutet Studierendenfreundlichkeit für Sie?

Thomas Slunecko: Ich glaube, studierendenfreundlich zu sein ist etwas, das man sich nicht vornehmen kann, sondern das sich indirekt ergibt. Und zwar weil man einfach die Prioritäten im Leben anders setzt, wenn man in seinem Fach aufgeht und diese Begeisterung vermitteln will. Man muß einfach bereit, aber auch in der Lage sein, sein Wissen frei abzustrahlen, an die Studierenden weiterzugeben, ohne dabei auf die Uhr oder auf die Geldbörse zu schauen.

derStandard.at/Uni: Ist es nicht so, dass jeder Professor, der sich für ein bestimmtes Fach entscheidet, eine gewissen Begeisterung dafür mitbringen muss?

Thomas Slunecko: Ja, aber im Weitergeben des Wissens gibt es typologisch schon starke Unterschiede. Viele behalten sich gerne Wissensvorsprünge gegenüber den Studierenden. Es gab einmal in Wien einen Professor, der in seinem Leben lang niemanden promoviert hat. Es war die Furcht vor Konkurrenz, die ihn dazu getrieben hat. Das sind tiefenpsychologische Prozesse: wie sehr ist man bereit, zu geben und zu nehmen. Wenn diese Bereitschaft da ist, kommt dann auch immer etwas von den StudentInnen zurück.

derStandard.at/Uni: Bei Ihnen ist diese angesprochenen Begeisterung vorhanden?

Thomas Slunecko: Ja, ich übe meinen Beruf mit Leib und Seele aus, und wenn mich die früheren Absolventen jetzt zu ihren eigenen Veranstaltungen einladen, weiss ich, dass es offenbar gut geklappt hat mit dem Weitergeben der Begeisterung.

derStandard.at/Uni: Wussten sie immer schon, in welche Richtung sie beruflich gehen werden?

Thomas Slunecko: Ich habe zuerst ganz Verschiedenes studiert – Medizin, Philosophie, Anthropologie, sogar auch einmal Jus. Ich wusste zunächst also nicht genau was, aber das es Wissenschaft sein soll, war klar. Heute kommt mir das sehr entgegen, weil die Psychologie sich aus ganz verschiedenen wissenschaftlichen Quellen speist: Da gibt es naturwissenschaftliche Ströme, aber eben auch meinen Bereich - die Kulturpsychologie - für die man eigentlich fast schon Kulturhistoriker sein muss. Potentiell ist die Psychologie, vor allem wenn sie sich mit kulturellen Variationen des Erlebens und Verhaltens beschäftigt, tatsächlich ein Fach für so etwas wie Universalgelehrte.

derStandard.at/Uni: Warum haben sie sich dann von den vielen Bereichen für die Psychologie entschieden?

Thomas Slunecko: Sie war von Anfang an stark im Rennen, es war allerdings nicht ein geteilter Berufswunsch innerhalb meiner Familie. Die wollte lieber einen bürgerlichen Beruf mit vermeintlich sichereren Aussichten, zum Beispiel Medizin, aber ich habe gerade noch rechtzeitig gemerkt, dass die Medizin meinen Begabungen nicht entspricht. Psychologie dagegen war mir sozusagen in die Wiege gelegt. Der Mensch, sein merkwürdiges inneres Universum, die unglaubliche Vielfalt des Verhaltens und Sich-Aufeinander-Beziehens war immer das, was mich besonders interessiert und bisweilen natürlich auch befremdet hat. Das mehr zu verstehen war für mich einfach wichtiger als anderes.

derStandard.at/Uni: Haben sie Vorbilder unter Ihren Professoren?

Thomas Slunecko: Es gab einen, der mich zur Psychologie geführt hat, das war Giselher Guttmann. Und zwar weniger im inhaltlichen oder methodischen Detail, sondern einfach weil er immer mit dem Blick auf weite Zusammenhänge gesprochen hat, sozusagen mit einem Ausblick ins Offene. Vor allem war und ist er als Redner unerreicht, einer der letzten Großmeister der Vortragskunst, da habe ich mir rhetorisch das eine oder andere von ihm abschauen können. Fachlich-inhaltlich wichtige Mentoren gab es natürlich auch, wobei ich die vielleicht entscheidendsten Anregungen erst relativ spät - um Mitte 30 - bekommen habe. Das war die Teilnahme an dem, wie ich es nenne, Erleuchtungskabarett des Peter Sloterdijk. Ohne diese Begegnung wäre ich heute wohl auch nicht dort, wo ich bin.

derStandard.at/Uni: Überrascht es sie, wenn ihre Studierenden sie als studentenfreundlichen, engagierten Lehrenden wahrnehmen?

Thomas Slunecko: Es überrascht mich insofern, als es Psychologieprofessoren gibt, die viel bekannter sind, weil sie die großen Einführungslehrveranstaltungen halten. Es überrascht mich aber insofern nicht, weil mit den StudentInnen, PraktikantInnen und AssistentInnen, mit denen ich eng zusammenarbeite, ein wirklich familiäres Klima herrscht. Hier ist eine Plattform entstanden, auf der das Akademische ins das Freundschaftliche übergehen kann und einige Studierende nach dem betrüblichen Durchgang durch das Massenstudium über die Möglichkeit sehr glücklich sind, hier anzudocken zu können.

derStandard.at/Uni: Wie erleben sie die typischen Probleme eines Massenstudiums?

Thomas Slunecko: Meine Begeisterung für die Prüfungs- und Verwaltungsmaschinerie, die das Massenstudium mit sich bringt, hält sich naturgemäß in engen Grenzen. Auf Dauer ist das tatsächlich hochgradig belastend und macht den gutwilligsten Professor mürbe. Auch die eigene Forschungsarbeit kommt dadurch sträflich zu kurz. In Vorlesungen mit 800 Hörern ist es außerdem unmöglich, jene Art von Kontakt aufzunehmen, den es für die Vermittlung wesentlicher psychologischer Kompetenzen braucht, das geht nur in kleineren Formaten.

derStandard.at/Uni: Was halten sie generell von der Diskussion über Zugangsbeschränkungen?

Thomas Slunecko: Das ist ein heikles Thema. Da steht eine Entscheidung an, vor der sich die Politik drückt. Dann sollen die Unis es von sich heraus machen und werden dafür gescholten. Vielleicht ist es ja eine Lösung, dass der Zugang zum Bakkalaureat frei bleibt und erst die Masterstudien beschränkt werden. Momentan sieht es für mich so aus, als würde die Entwicklung in diese Richtung gehen.

derStandard.at/Uni: Was würden sie gerne am Psychologiestudium selbst ändern?

Thomas Slunecko: Die Psychologie darf in Forschung und Lehre den Anschluss an gesellschaftspolitische und kulturelle Fragen nicht verlieren. Diese Gefahr besteht, wenn sie sich zu sehr in den akademischen Elfenbeinturm zurückzieht und dort Forschungsfragen abarbeitet und Erkenntnisse erbringt, die so gestellt bzw. formuliert sind, dass sie draussen gar niemanden mehr erreichen können.

Im Psychologiestudium sollten wir viel mehr darauf achten, dass die Studierenden auch jene Fähigkeiten erlernen oder ausbauen, die im Alltag zu Recht als psychologisches Wissen gehandelt werden, wie etwa Beziehungs-, Kommunikations- und Reflexionsfähigkeit. Im späteren Beruf ist das mindestens so wichtig wie Statistikkenntnisse. Im Augenblick kommen diese psychologischen Basisfertigkeiten leider viel zu kurz und müssen sich eher neben dem Studium entwickeln, weil Lehrplan und Massenuniversität für solche Prozesse zu wenig Raum geben.