Hat hier jemand eine Blaumeise? Claus Peymanns Berliner "Wolken. Heim"-Ensemble reißt - mit Grüßen an Einar Schleef - die Schnäbel auf.

Foto: Berliner Ensemble/Rittershaus
Claus Peymann inszenierte am Berliner Ensemble - und begrünte die Textfläche.


"Steht denn das alte Opel-Werk noch?" Acht Männlein und sechs Weiblein stehen im Wald und spielen grün-grüne Koalition. Das Theater stimmt den Abgesang auf die Fabriken an. So gibt es auf der Bühne noch etwas zu tun, weil es anderswo nichts mehr zu tun gibt. Claus Peymann funktioniert das Berliner Ensemble zu einer Hochburg der immateriellen Arbeit um:

Am Mittwoch gab es die Uraufführung eines Texts von Elfriede Jelinek: Wolken. Heim. Und dann nach Hause ist ein Stück ohne Rollen, ein Monolog für die Massen, eine Suada im Allgemeinen. Der erste Teil stammt aus einer Zeit, als die Deutschen noch in einem geteilten Land lebten. Als Wolken. Heim, eine Collage mit Material von Hegel und Heidegger bis zu den Gefängnisbriefen der RAF, erschien, fiel in Berlin gerade die Mauer, und Elfriede Jelinek wurde für einen kritischen Wiedervereinigungstext gelobt, in dem der hohe Ton der Nationalmythologie sich selbst entlarvte.

Wer kommt, der rinnt

2005 stellen sich die Fragen anders, deswegen wurde dem ursprünglichen Text von Wolken. Heim noch etwas beigefügt: Und dann nach Hause. "Wie Bäch vereinigen sich jetzt die Reden, rinnen von den Bergen runter, rinnen die Berge rauf, rinnen in die Wirklichkeit rein, aus der Wirklichkeit wieder raus."

Claus Peymann und Achim Freyer haben das Beste aus diesem semantischen Rinnsal gemacht: Sie haben es begrünt. Ein langer, fensterloser, grüner Raum (ein Container?) enthält 14 grün befrackte Schauspieler, die wie Amsel, Drossel, Fink und Star und anderes Waldgetier geschminkt sind. Zu Beginn formieren sie sich zu einer Kuckucks-Phalanx, eine Hommage an Einar Schleef, der mit Jelinek-Material so gut umgehen konnte. Das "Wir" war die Deutungsaufgabe: "Wir", das sind die Deutschen, "ein Urvolk, das Volk schlechtweg", ein Wald von einem Volk.

So konnte man das 1988 gefahrlos sehen. 2005 aber ist dieses Volk in der Krise, weil sein Sozialstaat umgebaut wird. Es reagiert nicht nur bei Jelinek mit Protest. "Deutschland marschiert, damit es sich nicht zu Hause antrifft, wenn es ihm endlich kommt." Es sieht alles danach aus, dass die Deutschen nun auch noch aus dem Haus der Sprache vertrieben wurden. Im Asyl der Kalauer finden sie notdürftig Unterschlupf.

Peymann inszeniert diesen problematischen Text wie ein Politiker. Er stellt sich keine grundsätzlichen Fragen, sondern geht gleich in die Details. Für viele Angelegenheiten findet er hübsche kleine Lösungen - wenn es eines Tages Hartz XIV oder XXVIII geben wird, hat das Berliner Ensemble es schon vorweggenommen gehabt. Und wenn sich die Deutschen am Ende doch noch einmal in die Verlierer des Ostens und die Beharrer des Westens spalten sollten, dann wird das BE 2005 noch einmal daran erinnert haben, dass die DDR durch die Parole "Wir sind das Volk" unterging.

Das alte Opel-Werk steht noch, aber es steht so leer wie die Nationalmythologie, aus der Jelinek 1989 ein Kraftwerk bauen wollte. Die Aufführung wirkte wie ein Beschäftigungsprogramm, das sich aus den Produktionsverhältnissen ausgegliedert hat. Das Ensemble könnte jeden Moment aus dem Theaterraum aussteigen und das Laub auflesen oder einfach mit den Vögeln zwitschern. Das wäre zwar kein Sanierungskurs, aber immerhin Theater. Arbeitstheater. (DER STANDARD, Printausgabe, 05./06.03.2005)